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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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lächelte schief und sagte: »Nein, danke. Ich bringe meine Albträume lieber im Schlaf hinter mich. Ich muss wohl zusehen, dass ich mal wieder nach Hause komme.«
    Er sah enttäuscht aus, sagte aber nichts.
    Ich räusperte mich und stand auf. »Danke für den Kaffee. Es war nett, mit Ihnen zu reden«, sagte ich zu der Frau auf der anderen Seite des Tisches. »War prima, dich zu treffen«, sagte ich zu Roar und zauste ihm das Haar.
    Wir gingen alle drei in den Flur. Ich zog meine Jacke an und fühlte nach, ob der Wagenschlüssel in der Tasche war. Ich fuhr Roar noch einmal mit der Hand über den Kopf und reichte sie dann seiner Mutter.
    Ihre Hand lag in meiner. Sie sagte: »Vielen Dank für die Hilfe. Sind wir Ihnen etwas schuldig?«
    »Das war ein Freundschaftsdienst«, entgegnete ich. »Und pass du auf dein Fahrrad auf, Roar. Mach’s gut.«
    »Tschüs dann«, sagte seine Mutter. »Und danke noch mal.«
    Ich ging rasch den Balkongang entlang und war allein im Fahrstuhl. Ich kam mir vor wie auf einer Reise hinab ins Totenreich, durch den Hintereingang.
    Ich trat auf die Straße und ging zu meinem Auto. Als ich aufschloss, blickte ich nach oben. An dem Fenster mit der grünweißen Gardine stand ein Junge und presste das Gesicht an die Glasscheibe. Er winkte mir zu.
    Ich winkte zurück und stieg ein. Oben an der Ecke des Blocks sah ich ein paar lang gestreckte Schatten, sieben, acht Stück. Es konnte eine Gang von Teenagern sein, aber vielleicht war es auch nur das Licht, das so fiel.

7
    Samstag und Sonntag vergingen wie solche Tage am Übergang von Februar und März es eben tun, wie schweres Stapfen durch knietiefen Schnee. Es wurde überhaupt nicht richtig hell. Eine graue Wolkendecke hing tief über der Stadt, und ein Ausflug auf den Fløien kam einem Aufstieg durch triefend nasse, schmuddelige Baumwolle gleich. Ich fühlte mich, als ging ich in alten Gummistiefeln, die bis über die Haarwurzeln reichten. Kein Vogel sang, und kein Goldfisch schwamm in meiner Aquavitflasche, wenn ich nach Hause kam. Ich leerte sie zur Sicherheit bis auf den Grund, aber es stimmte. Es schwamm kein Goldfisch darin.
    Am Sonntag machte ich einen Rundgang durch Nordnes. Wo sich einst kleine Holzhäuser müde aneinander gelehnt hatten, lagen jetzt massige Betonkolosse, in denen erstaunlicherweise Menschen wohnten. Wo einst ein Kinderspielplatz und ein scheinbar endloser Park gelegen hatten, standen jetzt ein Aquarium, in dem große Fische in viel zu kleinen Bassins schwammen, und ein Institut für Meeresforschung in einem Hochhaus, das sich eher für das Studium Fliegender Fische geeignet hätte. Wo man früher einmal verlegen an der Seite eines Mädchens gegangen war und mit der Schuhspitze die Erde angehäufelt hatte, war jetzt keine Erde mehr, sondern Asphalt. Und auch in meiner zweiten Aquavitflasche schwamm kein einziger Goldfisch.
    Am Montagmorgen war ich wieder im Büro. Die graue und triefend nasse Baumwolle hatte sich in meinen Kopf verlagert, und das stumme Telefon glich einer versteinerten Kröte. Die Stunden vergingen, wie fremde Fußspuren im Sand. Das Leben fand in der Stadt außerhalb meiner Fenster statt, ohne mich. Auf dem Marktplatz klatschten die Fischhändler in ihre großen roten Hände und schnitten für Hausfrauen in blauen Mänteln und mit braunen Einkaufstüten aus Nylon ordentliche Portionen von grünlich weißem Fisch zurecht. Die Blumenhändler standen da und sahen ebenso trostlos aus wie ihre braun geränderten Blumen, und auf dem Gemüsemarkt verkaufte ein einsamer Händler Möhren aus Italien, Chinakohl aus Israel und Kohlköpfe aus dem vorigen Jahrhundert.
    Regen und Schneeregen standen schräg über der Stadt, und das Wasser von Vågen erhob sich und kläffte. Es war einer dieser Tage, an denen die Menschen mit Gesichtern wie geballte Fäuste herumlaufen und sich nicht lange bitten lassen, bevor sie zuschlagen. Der Nachmittag kam spät und langsam, als habe er im Grunde keine Lust, und mein Telefon war noch immer stumm.
    Ich saß da und starrte es an. Vielleicht könnte ich ja bei … Ja, ich hätte meine alte Mutter anrufen können, wenn sie nicht schon seit zweieinhalb Jahren tot gewesen wäre und da, wo sie jetzt war, wohl kaum ans Telefon gehen würde. Und ihre Nummer hatte ich auch nicht.
    Oder ich hätte eine Bekannte beim Einwohnermeldeamt anrufen können, wenn sie nicht bei meinem letzten Anruf einen so blöden Witz gemacht hätte. Hier ist Veum, hatte ich gesagt. Welcher Veum?, hatte sie

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