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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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sagte er.
    Wir tranken stumm, ich mein leichtes Pils, er sein schweres Export. Wir tranken wie zwei alte Freunde, die sich jeden Tag nach der Arbeit treffen und nicht unbedingt viel reden müssen.
    Aber nachdem wir ausgetrunken hatten, mussten wir schließlich doch reden. Er sprach schon ein wenig unklar. »Ich weiß nicht, wie viel Wenche dir erzählt hat«, sagte er. »Oder was sie dir erzählt hat.« Er stutzte kurz, dann sagte er: »Wir sagen doch Du, oder?«
    »Warum nicht«, sagte ich und ergriff die Hand, die er mir entgegenstreckte.
    »Jonas«, sagte er.
    »Varg«, sagte ich.
    »Was?«, sagte er.
    »Nein, Varg«, sagte ich.
    »Ach so«, sagte er und lachte leise, als hätte ich einen Witz gemacht. Dann fuhr er fort. »Ich gehe davon aus, dass sie … Ich meine, sie hat vielleicht kein besonders schönes Bild von mir gezeichnet? Sie kann ganz schön heftig sein in ihren – Charakteristiken.« Das war ein schweres Wort, aber er schaffte es. Er war nicht umsonst in der Werbebranche.
    »Bist du verheiratet?«, fragte er und schielte auf meine rechte Hand hinunter.
    »Nein. Nicht mehr.«
    »Gratuliere. Dann sitzen wir in derselben – Nische.«
    »Genau.«
    »Als du verheiratet warst, warst du deiner Frau da mal untreu? War das vielleicht der Grund, warum ihr …?«
    »Nein. Aber ich hatte eine Arbeit.«
    »Ich verstehe«, sagte er.
    Er hatte mich in Schwung gebracht, also fuhr ich fort: »Ich meine – es gibt so viele Arten von Untreue. Es gibt Männer, die mit anderen Frauen fremd gehen, andere tun es mit der Flasche, und wieder andere gehen mit ihrer Arbeit fremd. Frag mich nicht, was am schlimmsten ist, aber in meinem – Beruf … Ich habe den Eindruck, dass die meisten Frauen es am schlimmsten finden, wenn ihre Männer sie mit anderen Frauen betrügen.«
    »Genau. Und sie fragen nie, warum. Jedenfalls selten. Und das tut die Umgebung auch nicht. Ein untreuer Mann – oder natürlich auch eine untreue Frau – ist immer der Sündenbock. Immer schuldig. Wenn eine Ehe kaputt geht, hat immer der die Schuld, der den Seitensprung – oder die Sprünge – begangen hat. Und nie fragt jemand, warum.«
    »Genau. Und das ist der Grund, warum ich solche Aufträge nicht annehme.«
    Er sah verwirrt drein. »Was für Aufträge?«
    »Solche Aufträge. Ich beschatte nie Ehepartner, um herauszufinden, wo sie sind, wenn sie nicht da sind, wo sie sein sollen – und mit wem sie dort zusammen sind. Weil dann keiner danach fragt, warum sie dort sind.«
    »Nein. Nein, genau. Aber hör zu, Veum – glaub nicht, dass ich hier sitze und das sage, um die Schuld bei Wenche abzuladen. Das tue ich nicht.«
    Nein, das tat er nicht. Was er tat war, ein neues halbes Export zu bestellen. Ich hatte schon aufgegeben, mit ihm mitzuhalten und nippte nur an meinem dritten Pils.
    Ihm blieb Schaum am Bart hängen, der leicht erzitterte, als er fortfuhr: »Sie tut das aber, leider. Sie gibt mir die ganze Schuld. Sie sieht keine Fehler bei sich selbst. Aber das ist okay. Soll sie sich damit trösten, wenn sie sich dadurch ein bisschen besser fühlt. Aber die Wahrheit – die Wahrheit ist, dass es überhaupt keine Ehe war, nie hätte sein dürfen. Aber um das zu begreifen sind wir immer viel zu jung, stimmt’s … äh – Varg?«
    »Die Frage ist, ob wir jemals alt genug werden.«
    »Nein. Ja. Aber wir waren – wir waren grundsätzlich viel zu verschieden. Ich weiß nicht, ob sie dir von ihrem Hintergrund erzählt hat. Sie kommt ja nicht aus Bergen, obwohl ihr Dialekt jetzt ganz abgeschliffen ist. Sie kommt aus dem Hardanger, aus einem dieser schmalen Dünndarmtäler, die sich irgendwo an einer Felswand entlang winden und wo das Schicksal einen Hof und zwei Kühe hingeworfen hat. Sie kommt aus einem strengen und pietistischen Milieu, aber als sie in die Schule kam, zog sie zu einer älteren Schwester nach Øistese, und da ging es ihr besser. Es sind nette Leute, sowohl die Schwester als auch ihr Mann. Aber es ist klar: Das Milieu ihrer Kindheit hat sie geprägt. Jesus an der Wand und nur ein Buch im Regal, weißt du? Und ein Jahresabonnement der Kirchenzeitung … Ich dagegen, ich bin ein Stadtkind, war mit vierzehn zum ersten Mal besoffen, hatte mein erstes Mädchen mit fünfzehn, stahl Autos und fuhr auf Sauftour ins Fanafjell und nach Hellestad. Aber ich landete immer weich. Am Ende. Ich besuchte die Handelshoch­schule mit einem ziemlich dekadenten Freizeitmi­lieu, endlose Biergelage und kleine, dicke Studenten aus dem Østland, die halb

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