Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
nackt auf den Tischen tanzten, wenn sie zuviel gekriegt hatten. Später dann die Werbebranche, mit ihrer ganzen Dynamik, mit all den Konferenzen und Seminaren und Essen in der Stadt mit Kunden.
    Sie war gern zu Hause, saß über einer Handarbeit, las vielleicht ein Buch, hörte eine Platte oder sah fern. Sie kochte gern und nähte und putzte und gesellschaftliches Leben interessierte sie nicht sonderlich. Alkohol trank sie nur aus Höflichkeit, und das Rauchen habe ich ihr beigebracht. Ich dagegen war es gewohnt, mit den Jungs auszugehen und ein Bier zu trinken, ein bisschen mit einem Mädchen zu flirten und nicht ganz nüchtern spät nach Hause zu kommen. Was bedeuten solche Unterschiede eigentlich, wenn man sich nur wirklich liebt?«
    Er sah mich resigniert an. »Tja, das haben wir vielleicht nicht getan. Oder ich …«
    Ich unterbrach: »Aber wie habt ihr euch eigentlich kennen gelernt?«
    »Wie lernt man sich kennen? Sie kannte jemanden, den ich kannte, der … Die alte Geschichte. Es gibt immer eine Freundin von einer Freundin von einem, mit dem du zusammen gewohnt hast, oder nicht? Und manche von diesen Freundinnen, eine von diesen Freundinnen muss ja irgendwann mal aus dem Hardanger kommen, oder?«
    »Ja?«
    »Tja. Es war einfach so. Wir trafen uns bei gemeinsamen Bekannten und – na ja, sie zog mich wirklich an. Sie war so anders als alle diese anderen Mädchen. Sie war zurückhaltend, schüchtern, jungfräulich. Sie sagte fast nichts, und wenn ich sie nach etwas fragte, dann schlug sie die Augen nieder und faltete die Hände im Schoß. Also sie, ja, sie zog mich an, machte mich an. Ich wollte sie haben, sie besitzen. Und sie …« Er zuckte mit den Schultern und leerte sein Glas. »Sie mochte mich auch. Recht bald.«
    Er bestellte ein neues Glas Bier und fuhr fort: »Es war plötzlich ein neues Leben. Nach jahrelangem Umherflattern und Flirten nach Ost und West, nach etlichen Gipfelbesteigungen von Bett zu Bett – war plötzlich süßer, sanfter Friede. Wanderungen auf den Fløien in weichen Samtnächten, Sonntagvormittagspaziergänge um stille Kais. Kinobesuche wie als ich ein Junge war – dasitzen und Händchen halten, irgendwo ganz hinten im Dunkeln. Wenche, Wenche, Wenche …«
    Jetzt hatte er mich fast vergessen und das fünfte Bier zog seinen Kopf noch ein paar Zentimeter tiefer zur rotweiß karierten Tischdecke.
    Der Mann am Nebentisch hatte uns verlassen. Alles, was er hinterlassen hatte, war ein nasser Kreis auf dem Tischtuch. Das junge Paar ihm gegenüber war jetzt bei den Ellenbogen angelangt, aber sie hatten immer noch eine gute Mahlzeit vor sich, bevor sie einander ganz aufgefressen hatten.
    Jonas Andresen sagte: »Und dann wurde sie mein, süß wie eine Rose, die zum allerersten Mal blüht. Eine Forelle in einem Bach, die springt und in der Luft hängen bleibt – in meinen Armen. Und sie wurde schwanger und wir heirateten und wir bekamen Roar. Und dann saßen wir da, weißt du, in einer Wohnung in Nygårdshøyden und waren plötzlich zu Dritt. Der Beginn einer kleinen Kernfamilie, und kein Ausweg mehr. Schon nach einem halben Jahr hatte ich mich in eine andere verliebt, und es fing an, schief zu gehen – ziemlich schnell. Ich meine, dass ich mich in eine andere verlieben konnte, nach einem halben Jahr Ehe … Das zeigte wohl, wie es um unser Land stand.«
    »Welches Land?«, fragte ich mit müdem Kopf nach den drei Pils. Ich bestellte noch eins, um im Fluss zu bleiben.
    »Das Nimmerland. Und ich war Peter Pan und Wendy war schon weg. Sie wurde so alt, Varg. Ich meine nicht äußerlich. Du meine Güte, sie sieht ja immer noch aus wie sechzehn, jedenfalls vor ein paar Monaten noch. Aber sie wurde so gesetzt. Sie interessierte sich für nichts anderes als für mich und das Kind. Und dann diese endlosen Handarbeiten. Wir hatten die Wände voller Stickereien und die Sofas voller Kissen und Tische und Schränke bedeckt mit kleinen herzigen Läufern. Und auf dem Klo tauschte sie die Schnur mit einem selbstbestickten Glockenstrang aus und …«
    Ich versuchte, mich an die Wohnung von Wenche Andresen zu erinnern und sagte: »Übertreibst du jetzt nicht ein bisschen?«
    »Na ja, es kam mir jedenfalls so vor. Als würde ich in solchen bestickten Teilen jeglicher Art ersticken.«
    Eine Frau kam herein und setzte sich an den freien Tisch neben uns. Sie war Ende fünfzig und hielt den Kopf ein klein wenig schräg. Um den fransigen Mund huschte ein kleines Lächeln, wie bei einem Wolf, der im Wald auf

Weitere Kostenlose Bücher