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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Vorübergehen, und mir war so schwindelig, dass ich fast nicht wusste, wohin ich sehen sollte. Ich dachte im Stillen: Es ist wirklich lange her, dass du richtig verliebt warst, Varg – viel zu lange. Und ich dachte an Wenche Andresen, lauschte nach ihrer Stimme. Aber aus irgendeinem Grund konnte ich ihr Gesicht nicht sehen, und ich hörte keinen Laut.
    Die kleine Frau gab die große, grüne Mappe am Empfang ab, sagte ein paar Worte und ging zurück – den Korridor entlang. Ihr Haar war leicht, frisch gewaschen und offen, und es wogte mit ihr durch den viel zu kurzen Korridor. Dann bog sie in denselben Raum ein, aus dem sie gekommen war und war verschwunden.
    So treten Menschen in dein Leben – und verschwinden wieder, im Laufe von ein, zwei Minuten.
    Ein Mann trat aus einem anderen Raum und kam mir mit Schritten entgegen, die nicht mehr ganz so dynamisch waren. Vielleicht war es schon zu spät am Tag, oder er hatte schon zu lange gearbeitet.
    Er war gut gekleidet, ein graugrüner, taillierter Anzug mit Weste. Er war dunkelhaarig oder dunkelblond und trug eine neue Brille und einen kleidsamen, kleinen Wildwest-Schnauzbart (der ein wenig traurig an beiden Mundwinkeln herunterhängt), aber ich erkannte ihn dennoch von dem Bild wieder, das ich bei seiner ehemaligen Ehefrau gesehen hatte. Es war Jonas Andresen.
    Er sagte mir also nichts Neues, als er sich vorstellte: »Ich bin Jonas Andresen. Sie wollten mich sprechen?«
    Ich ergriff die Hand, die er mir entgegenstreckte. »Ja. Mein Name ist Veum.« Ich senkte die Stimme. »Ich komme im Auftrag Ihrer Frau, ich bin eine Art – Anwalt.«
    Er senkte auch die Stimme und sagte: »Wir gehen in mein Büro.«
    Dann drehte er sich um und ich folgte ihm den Korridor entlang in sein Büro.
    Es war ein recht kleiner Raum, mit Aussicht auf den gespaltenen Turm der Mariakirche und Fløien dahinter. Ich konnte bis zum Dach des Hauses sehen, in dem ich wohnte. Fast konnten einem die Tränen kommen.
    Er hatte einen großen, schwarzen Schreibtisch, auf dem Papiere, Drucksachen und Annoncenentwürfe systematisch in Haufen geordnet lagen. Ein Korb mit EINGÄNGEN war deutlich voller als der mit AUSGÄNGEN. Neben den Körben lag ein Plastikschädel, ungefähr in Stirnhöhe aufgeschnitten und heraus stachen Kugelschreiber und Bleistifte in den Farben des Hauses: rot und grün. In einem Plastikbecher stand eine einzelne, blassrote Rose, deren Blütenblätter längst braune Ränder aufwiesen, und in einem grünen Aschenbecher lagen Zigarettenkippen, Asche und abgebrannte Streichhölzer. Wenn der am Morgen sauber gewesen war, dann war er ein fleißiger Raucher.
    An den Wänden hingen Plakate, vier vergrößerte Amateurfotos von Roar (einige früheren Datums) und eine Spanplatte, an die ausgeschnittene Zeitungsannoncen, ganze Seiten aus Wochenzeitschriften, Artikel, Fotos, Visitenkarten, Entwürfe und diverser Krimskrams geheftet war.
    Jonas Andresen setzte sich hinter den Schreibtisch und wies mich zu einem gemütlichen Ledersessel ihm gegenüber. Er zog eine Packung Zigaretten hervor, hielt sie mir hin, und als ich ablehnte, steckte er sich selbst eine an. Es war eine lange, weiße Zigarette, und seine Hand zitterte, als er sie anzündete.
    Er sah mich fragend an. »Also?«
    »Ihre Frau hat mich gebeten … Es geht um Geld, das Sie ihr wohl versprochen haben – aus einer Lebensversicherung. Sie hat nämlich gewisse Probleme. Finanzieller Art.«
    Er betrachtete mich mit klaren, blauen Augen durch die farblosen Brillengläser. Es waren große Gläser, braun eingefasst, oben leicht abgerundet und unten eckig, sodass sie eine Art Glockenform bekamen. Er blies blauen Zigarettenrauch durch seine zusammengepressten Lippen, bevor er sagte: »Lassen Sie uns zuerst ein paar Dinge klären. Sie sagten, Sie seien eine Art Anwalt. Sind Sie der Anwalt meiner Frau oder nicht?«
    »Das bin ich nicht.«
    Er beugte sich nach vorn. »Sind Sie ein Freund?«
    Ich sagte: »Ich kann Ihnen versichern …«
    Er hob abwehrend beide Handflächen und sprach mit der Zigarette im Mundwinkel: »Immer mit der Ruhe. Ich kann darin absolut nichts Schlimmes sehen. Ganz im Gegenteil, es würde mich freuen, zutiefst und ehrlich freuen, wenn Wenche einen – Freund gefunden hätte. Einen neuen.«
    »Tja, das bin in dem Fall nicht ich. Nicht so. Von Beruf bin ich eigentlich Privatdetektiv.«
    Sofort wurde sein Gesichtsausdruck starrer.
    Ich fuhr fort: »Es war Ihr Sohn, Roar, der mich kontaktet hat. Um sein Fahrrad wieder zu

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