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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Zeichentisches. Wir hatten jeder eine Tasse lauwarmen Kaffee vor uns stehen, und ich weiß nicht mehr, worüber wir sprachen. Ich weiß nur noch, dass ich dachte: Jetzt, Jonas, jetzt musst du es ihr sagen. Jetzt ist der Moment. Aber ich konnte mich nicht überwinden, ich konnte es nicht in Worte fassen, konnte all den Gefühlen, die aus mir herausdrängten, keine Namen geben, einfach weil – sie da saß. Und dann … Dann zündete sie sich eine Zigarette an. Und sie sagte: Ich rauche nur selten. Dann fühle ich mich so – leichtsinnig. Und ich sagte: Leichtsinnig … Und dann streckte ich meine Hand aus und strich ihr über die Wange. Ihr Blick wurde dunkel und warm und dann streckte sie auch eine Hand aus und strich mir über die Wange, kurz, mit dem Handrücken. Ich fiel einfach zusammen, Varg. Alles löste sich in mir. Ich beugte mich über den Tisch und umfasste ihr Gesicht – ihren Kopf – mit beiden Händen, spürte ihre weichen Wangen an meinen Handflächen, legte mein Gesicht an ihres, an ihr Haar, ihr wunderbares weiches Haar, legte den Mund an ihr Ohr, an ihre Wange, ihren Mundwinkel, wo ich leicht ihre weichen Lippen zittern fühlte … Und ich seufzte, Varg. Ich seufzte wie ein altes Waschweib, so überwältigt war ich von mir und meinen eigenen Gefühlen. Solveig, sagte ich, du bist so lieb, Solveig. – Und sie sah mich mit ihren großen, glänzenden Augen an: Findest du, Jonas? – Wenn du ahntest, ich glaube nicht – es ist viele Jahre her, dass ich so etwas für einen Menschen gefühlt habe, wie das, was ich für dich fühle, Solveig. – Ich küsste sie mehrmals, auf das Ohr, auf die Wange, neben den Mund, aber nicht richtig auf den Mund, dann wendete sie ihr Gesicht ab.
    Ich sagte: Ein bisschen magst du mich auch, oder? – Ich mag dich sehr, Jonas, sagte sie. Und ich küsste sie wieder. Sie sagte: Es ist schön, dass du da bist, Jonas, aber jetzt darfst du nicht, jetzt darfst du mich nicht mehr küssen, nicht heute. Ich strich ihr mit der Hand das Haar aus der Stirn, von den Augen und sagte: Was ich fühle, das ist nicht sexuell, nicht so. Es ist ganz romantisch. Als wäre ich wieder ganz jung, sechzehn, siebzehn. Ich habe Lust, zärtlich zu dir zu sein. Dich zu küssen, auf den Mund. Und ich betrachtete ihren Mund, die schönen, weichen Lippen, recht schmal, aber offen, und eine von diesen sehnsüchtigen Unterlippen, wenn du verstehst, was ich meine.«
    Ich verstand, was er meinte. Es fehlte nicht viel, und mir wären Tränen gekommen.
    Er fuhr fort: »Sie lächelte, schüchtern, glaube ich, und sagte: Ich habe auch … Ich habe so viel Dummes, ich bin impulsiv, viel zu impulsiv und ein Gefühlsmensch … Ich habe auch das Bedürfnis – zärtlich zu jemandem zu sein … Ihre beiden Hände … Sie hielt meine Hände in ihren, Varg, und sie sah mich an … so mit dem ganzen Gesicht, und es war, als erfüllte ihr Gesicht den ganzen Raum, als gäbe es nichts anderes im ganzen Universum, als dieses wunderschöne Gesicht, umrahmt von diesem Haar: die kleine schmale Nase, die dunkelblauen, fast schwarzen Augen, der zitternde Mund, die weichen, runden Wangen, das feste Kinn … Solveig, Solveig. Und da wusste ich – da wusste ich, was ich heute weiß – dass ich sie liebte, dass ich sie immer lieben würde, egal was geschah, dass ich niemals aufhören würde, sie zu lieben …«
    Er sah sich suchend im Lokal um, als suche er nach anderen, die er lieben könnte, nach anderen, mit denen er seine zärtlichen Gefühle teilen könnte, über die er stundenlang sprechen könnte. Aber er fand niemanden. Alles was er fand, war ein Detektiv, nicht einer der teuersten, aber auch nicht so billig. Ein Zuhörer.
    Er sagte: »Dann hörten wir, dass draußen auf dem Korridor jemand ging. Und wir fuhren auseinander, suchten blind nach den Kaffeetassen, hoben sie an den Mund und saßen in gebührendem Abstand zueinander, als die Tür aufging und jemand hereinkam …«
    Ich wartete gespannt auf den Rest und fragte: »Und wer kam herein?«
    »Ihr Mann.«

19
    Draußen wurde es langsam dunkel, und der Kellner hatte es aufgegeben, uns zu bremsen. Er brachte uns neue Gläser, und ich wusste mit hundertprozentiger Sicherheit, dass dieser Tag nur zu einem Ende führen konnte: erst zwei schnelle Aquavits und dann runter mit den Rollos. Ich hatte schon Probleme, den Weg zur Toilette und wieder zurück zu finden.
    Jonas Andresen sagte: »Habe ich dir von ihrem Mann erzählt – vorhin?«
    Ich antwortete: »Daran kann ich

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