Dein bis in den Tod
Korridor an den roten Pfeilen entlang – und hielt inne.
Er war einmal jünger gewesen, natürlich. Und er hatte wahrscheinlich keine Glatze gehabt, sondern dichte, helle Locken überall. Und er war zu jung gewesen, um dunkle Bartstoppeln zu haben, es war nur Flaum oder er hatte sich fleißiger rasiert …
Ich drehte mich um und ging zurück in den Clubraum. Er stand am anderen Ende des Raumes, in der Tür zu seinem kleinen Büro und hielt in der Bewegung inne, als er mich zurückkommen sah, sagte aber kein Wort. Er schaute fast erwartungsvoll drein.
Ich trat zwei Schritte in den Raum und blieb stehen. Dann sagte ich: »Du hast Wenche Andresen gekannt, Våge. Früher einmal – in einem Fotoalbum.«
Und ich sah an seinem Gesicht, dass ich ins Schwarze getroffen hatte.
36
Er sah aus, als habe man ihn auf frischer Tat, mit der ganzen Hand im Marmeladenglas, ertappt. Ich betrachtete ihn genauer und war mir mit jeder Sekunde sicherer, dass ich Recht hatte. Er war einmal in Wenche Andresens Leben gewesen, er steckte noch immer in ihrem Fotoalbum, und jetzt befand er sich hier – wenige hundert Meter von dem Ort entfernt, an dem ihr Mann – oder Ex-Mann – vor kurzem eines ziemlich brutalen Todes gestorben war. Das musste natürlich nichts bedeuten. Allerdings war verdächtig, dass er es nicht selbst erwähnt hatte.
Er sagte: »Na und?« Seine Stimme war jetzt sehr dünn und alles andere als sarkastisch: »Was hat das schon zu bedeuten – wen ich einmal vor langer Zeit gekannt habe?«
Ich antwortete: »Alles hat Bedeutung, wenn ein Mensch stirbt. Auf diese Weise. Du hast sie geliebt, stimmt’s? Du bist ihr gefolgt, überall hin? Wohin sie zog, dorthin zogst auch du? Ich habe schon von verschmähten Liebhabern gehört, die an weitaus schlimmere Orte als diesen gezogen sind, nur um in der Nähe der Geliebten zu sein.«
Er sagte wütend: »Der Teufel soll dich holen, Veum. Ich – ich kann dich verdammt noch mal absolut nicht ausstehen …« Er machte einen unsicheren Schritt auf mich zu.
»So dass du dir vorstellen könntest, mir ein Springmesser in den Bauch zu jagen? Machst du das öfter mit Leuten, die du nicht magst, Våge?«
Sein Gesicht wurde rot und hart. »Sei froh, dass es keine Zeugen gibt, die das gehört haben, Veum, sonst hättest du es in irgendeinem Gerichtssaal rückwärts aufsagen dürfen. Ich kann dich nicht leiden, weil du übereilige Schlüsse ziehst, weil du den Leuten ständig Dinge unterjubelst, die überhaupt nicht wahr sind …«
»Der Typ kommt mir bekannt vor«, sagte ich. »Hab ihn vor kurzem getroffen.«
»Es war einfach nicht so, Veum. Ja, ich kannte Wenche – früher einmal. Wir waren ein paar Sommermonate zusammen, August, September, und dann war es vorbei. Ich …« Er zuckte mit den Schultern. »Ich hatte vielleicht gedacht, es würde mehr daraus werden. Sie – sie war anders als die anderen Frauen – mit denen ich zu tun hatte. Nicht so intellektuell vielleicht. Aber offener, empfänglicher für neue Impulse. Eine warme und liebevolle – ja, Frau – eine Frau, in die man sich verlieben musste, mehr als in andere Frauen. Aber sie – für sie bedeutete es nicht so viel – ich war nicht – ich meine … Also – trennten wir uns, schon nach … Ja, mehr war es nicht. Mehr wurde nicht daraus. Wir lebten jeder unser Leben, und als ich sie zufällig hier traf, als ich erfuhr, dass sie auch hier draußen wohnte – das war ein absoluter …«
»Wann war das? Diese späten Sommermonate?«
Er sah mich mit einem Gesicht an, das merkwürdig gefühlsleer wirkte, wie ein vertrockneter alter Schwamm vor der Tafel in einem abgeschlossenen Klassenraum am Ende langer, trockener Sommerferien. »Das war – das muss gewesen sein – 1966, nein 67. Vor elf Jahren. Das ist eine Ewigkeit her, Veum.«
Elf Jahre. Er hatte Recht: das war eine Ewigkeit her. Im August, September 1967 war ich auf die Sozialhochschule in Stavanger gegangen. Ich hatte gerade Beate kennen gelernt, und wir machten endlose Wanderungen am Strand in Sola und hatten das Gefühl, wir könnten immer so weitergehen – um Jæren herum, wenn es sein musste, Hand in Hand, in einer kalten Meeresbrise und mit einer blutenden Sonne im Rücken. 1967, das war eine Ewigkeit her, so viele Ewigkeiten …
Ich sagte: »Also war es nicht so, dass du sie nie vergessen konntest? Sie war doch etwas Besonderes, sagst du. Das geht uns Männern doch so. Es gibt immer irgendeine, die wir einmal geliebt haben und von der wir den Rest
Weitere Kostenlose Bücher