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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Saison: rot, gelb und dunkelgrünblau. Sie erinnerten mich an verwachsene Mofas und schienen ein passendes Fortbewegungsmittel für die Jugend des Jahrzehnts zu sein. Diese war vor der Pommesbude durch ungefähr gleich viele Jungen wie Mädchen reichlich vertreten.
    Irgendjemand sagte etwas, das ich nicht verstand.
    Unisones Gelächter.
    »Wo hast du denn die Karre aufgegabelt – im Hinstorischen Museum?«
    Erneutes Gelächter. Gackerndes Gelächter wie von einem entfernten Hexenreigen.
    Ich lächelte. Diese hier hatten ein anderes Kaliber als Jokers Gang. Diese hier hatten nur eine große Klappe. So etwas erkennt man an den Gesichtern. Sie waren einfach in dem Alter, wo jeder über zwanzig lächerlich ist, und sobald sie zu mehreren waren, musste immer irgendjemand witzig sein. Ich hatte auch einmal dort gestanden, mitten unter ihnen. Ohne Motorrad zwar, aber dennoch. Es war ein umbarmherziges, unglückliches, ein verwirrtes Alter, über das man nie hinwegkommt – denn die Spuren dieser Jahre trägt man wie Narben auf der Seele noch jahrelang mit sich herum. Es waren Jahre, nach denen ich mich nie zurücksehnte. Es gab Momente, da wünschte ich mir, noch einmal sieben zu sein, und es gab Momente, da wäre ich gern noch einmal zweiundzwanzig gewesen. Aber ich habe mir nie gewünscht, noch einmal siebzehn zu sein.
    Ich trat an den Tresen. Dahinter standen zwei Oldies, zwei junge Frauen Mitte zwanzig. Ich bestellte vier Hot Dogs nur mit Ketchup und war optimistisch genug, zu fragen, ob sie eine Flasche Orangejuice hatten. Das hatten sie nicht, also musste ich stattdessen Limonade nehmen.
    »Na, mal wieder auf der Piste, Opa?«, fragte einer aus der Versammlung um mich herum.
    Ich lächelte und stopfte mir die erste Wurst zwischen die Zähne. »Dabei, mein Leben um ein paar Stunden zu verkürzen«, sagte ich. »Ist dir klar, wie viel Fett eine solche Wurst enthält?«, fragte ich einen Jungen, der so aussah, als sei er sich nicht einmal seines eigenen Fettgehalts bewusst. Er lächelte dümmlich.
    Die anderen überhörten die Frage. Es war unmöglich, dazustehen und mit einem Menschen über dreißig zu reden, also zogen sie sich ziemlich schnell zurück und überließen die Würste und die beiden Mädchen in der Bude mir.
    Sie sahen aus wie siamesische Zwillinge, so eng standen sie beisammen. Aber nicht, weil sie einander so liebten, sondern weil sie nicht mehr Platz hatten. Sie trugen indigofarbene Kittel mit einer reichen Auswahl an Fettflecken, Ketchupflecken und Senfflecken auf der Vorderseite. Sie wirkten recht schwer, oben wie unten herum, ganz zu schweigen von links und rechts der Nase. In ein paar Jahren würden sie wie Hildur Pedersen aussehen.
    Offenbar hatten wir nicht viele gemeinsame Interessen, also beendete ich die Mahlzeit, trank meine Limonade aus und kehrte zurück zu den Betonkolossen.
    Bevor ich einen davon betrat, stand ich einen Moment neben meinem Wagen und betrachtete ihn. Vier Betonkolosse und wie viele Menschen? Zwei-, dreihundert mit Alt und Jung in jedem Block. Ungefähr tausend insgesamt. Tausend Menschen aufeinander gestapelt, in Schubladen mit Namensschild, hinein- und herausspringend wie mechanische Puppen. Mechanische Puppen, die schlafen, aufstehen, essen, hinuntergehen und sich in ihre Spielzeugautos setzen, wegfahren und um vier Uhr wiederkommen. Essen, schlafen, Zeitung lesen, fernsehen und wieder schlafen. Andere mechanische Puppen, die schlafen, aufstehen, essen, auf die Kinder aufpassen, Essen kochen, essen, schlafen, abwaschen, Zeitung lesen, fernsehen, schlafen. Wieder andere, die zu klein sind, um schon zu wissen, was sie alles tun sollen, und die all die falschen Dinge tun: Spielen, weinen, gegenseitig auf dunklen Kellertreppen ihre Geschlechtsorgane untersuchen, Fußball spielen und sich prügeln. Und schlafen und essen.
    Manche der mechanischen Puppen schliefen miteinander, die meisten einmal in der Woche und dann meist am Samstag, nach einer Flasche Wein und nachdem sie das Licht ausgemacht hatten. Manche schliefen einmal im Monat miteinander und fanden selbst das nicht zu viel. Die wenigsten schliefen jeden Tag miteinander. Aber dann wird plötzlich eine der Puppen ungehorsam, schläft mit der falschen Puppe. Und wenn du ein Messer in ihn hineinstichst, dann zeigt sich, dass er blutet. Und dann fragst du dich: Sind es etwa doch keine mechanischen Puppen? Vielleicht tragen sie alle ihre Geheimnisse in sich, wie Jonas Andresen? Aber nur die wenigsten von ihnen teilten ihre

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