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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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des Lebens träumen. Aber wir tun gut daran, sie nicht wieder zu treffen, denn dann hat sie sich die Haare gefärbt, ihre Brüste sind geschrumpft, und sie hat einen Bauch bekommen. Jedenfalls ist sie älter geworden, wie wir selbst auch. Und kein Traum hält ewig, alle Träume sind im Grunde reine Illusion. Es ist nur so, dass manche von uns größere Schwierigkeiten haben, das zu akzeptieren, als andere.«
    »Okay, ich habe es akzeptiert, Veum. Oder eher – ich hatte den Traum nicht. Jedenfalls nicht lange. Als ich Wenche hier draußen wieder traf, das war – ganz normal. Wie wenn du eine alte Schulkameradin wieder triffst, jemanden, den du vor langer Zeit einmal gekannt hast und den du einmal mochtest, als ihr etwas gemeinsam hattet. Aber ihr habt nichts mehr gemeinsam. Die Zeit ist vorbei. Ich habe also mit Wenche geredet, wie man mit alten Bekannten redet. Und das war alles.«
    »Wirklich? Das war alles? Hast du sie oft getroffen?«
    »Ich habe sie nicht getroffen, Veum! Ich bin ihr zufällig begegnet, hin und wieder.«
    »Und ihr Mann?«
    »Hab ich nie kennen gelernt. Ich habe nicht einmal eine Ahnung, wie er aussah.«
    »Dir ist klar, dass ich Wenche selbst fragen kann?«
    »Dann frag sie doch! Frag bis deine Lungen platzen, Veum. Sie kann nichts anderes sagen, als die – Wahrheit.«
    Aber Wahrheit ist ein Wort, das man nicht gefahrlos in den Mund nimmt. Man weiß nie, wann es zu wachsen beginnt – und es wird schnell zu groß. Und Gunnar Våge sah nicht aus, als wisse er das, denn er machte ein verdutztes Gesicht, als probiere er etwas mit unbekanntem Geschmack.
    Ich sagte: »Und wo warst du Mittwochabend, Våge?«
    »Ich finde, die Frage solltest du der Polizei überlassen, Veum. Das geht dich sowieso nichts an.«
    Ich sagte: »Nein, vielleicht hast du Recht. Du wirst von mir hören, Våge. Viel Glück.« Ich drehte mich um und ging zur Tür.
    Aber ich wusste, dass er mich vorher aufhalten würde. Ich sah es an seinem Gesicht, und ich wusste, dass er ein Typ war, der zu Ende sprechen musste, wenn er erst einmal angefangen hatte. Er rief mir nach: »Aber wenn du es absolut wissen musst – ich war zu Hause, Veum. Allein. Ganz allein im zwölften Stock. Aber nicht im selben Block, im Nachbarblock. An und für sich kein tolles Alibi, aber ich würde gern den Menschen treffen, der mich an dem Nachmittag gesehen haben sollte.«
    »Wo?«
    »Was wo?«
    »Wo würdest du ihn gerne treffen?«, fragte ich. »Mitten zwischen die Augen? Oder in den Bauch?«
    Ich fand, das hatte er verdient, denn er hatte gesagt, dass er mich nicht leiden konnte. Und ich bin ein Mensch, der gern gemocht werden will. Ich bin ein Mensch, der jeden Mitmenschen, dem er begegnet, anfleht, ihn doch bitte zu mögen.
    Ich ließ ihn in der Tür zu seinem Büro stehen, wo er das abendliche Clubtreffen vorbereiten sollte, und ging schnell durch den Korridor und in das schwindende, graue Tageslicht hinaus.
    Ich betrachtete das Lyderhorn, wie ich es immer tat. Der alte Teufel lag dort auf der Lauer. Immer auf der Hut, immer bereit. Vielleicht sollte ich tun, was Ljosne mir empfohlen hatte? Hinauflaufen und den Berg in die Stirn treten und hören, ob er ›aua‹ schrie?
    Man konnte so vieles tun, wenn man nur Zeit hatte. Es gab so viele Berge zu besteigen – und auch ebenso viele Abstiege. Denn das hatte mich das Leben gelehrt: Man bleibt nie auf der Spitze. Man geht immer wieder hinunter. Man muss wieder hinuntergehen. Der Himmel weiß, was man zu finden hofft, am Fuße der Berge. Denn man findet nie etwas.

37
    Ich muss etwas essen, aber mein Magen war noch nicht bereit für ein Drei-Gänge-Menü, und ich hatte keine Lust, ganz in die Stadt zu fahren. Also fuhr ich zur nächsten Pommesbude. Dort servierte man außer Pommes und heißen Würstchen auch eine Menge anderer ungenießbarer Dinge, und zwar von der denkbar ungesundesten Sorte, serviert mit Senf, Ketchup und Zwiebeln, damit es jedenfalls nach irgendetwas schmeckt. Und wenn man Durst hatte, konnte man gefärbtes Zuckerwasser kaufen oder Kaffee aus der Maschine, der wie Dreckwasser schmeckte und auch nicht besser aussah.
    Die Pommesbude befand sich an einem Verkehrsvakuum, neben einem Parkplatz und fünfzig Meter entfernt von einer selbstleuchtenden Tankstelle an einer Straße, die so breit und trostlos war, dass niemand sich hatte entschließen können, sich dort anzusiedeln.
    Ich parkte auf dem Parkplatz, in Gesellschaft von zehn, zwölf glänzenden, neuen Motorrädern in den Farben der

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