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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Wenche. Über den letzten Dienstag. Über das, was am letzten Dienstag tatsächlich geschah.
    Aber noch nicht. Zunächst hatte ich anderes zu tun.
    Ich hatte Hunger, aber ich wusste nicht, wie lange ich Gunnar Våge noch antreffen würde, deshalb fuhr ich wieder zu den vier Hochhäusern hinauf und parkte, wo ich es immer tat.
    Langsam kannte ich mich hier aus. Und wenn es so weiterging, würde ich einen eigenen Parkplatz beantragen müssen.

35
    Ich traf Gunnar Våge fast genau am selben Ort wie beim letzten Mal. Er war allein im Clubraum und stand auf einem Hocker, um eine große Wandzeitung aufzuhängen, deren Text mit rotem Filzstift auf graues Papier geschrieben war. Die Zeitung berichtete von einigen vortrefflichen Freizeitangeboten im März. Man musste sich nur eintragen. Es gab einen Fjellkurs für diejenigen, die es sich leisten konnten, in den Osterferien wegzufahren. Es gab einen Kurs zum Thema »Wie baust du dir deinen eigenen Radiosender« für die, die eventuell einem entsprechenden Radioamateur in Japan »Hallo-Hallo, Goodbye-Goodbye« sagen wollten. Und dann wurde natürlich »unser beliebter Gitarrenkurs« weitergeführt, er ging ins fünfte Jahr, und die meisten hatten schon die ersten drei Griffe gelernt.
    Gunnar Våge heftete die Wandzeitung mit großen, grünköpfigen Nadeln an eine Korktafel. Er stand direkt unter einem grellen Scheinwerfer und seine Glatze flirtete zaghaft mit dem Licht.
    Als ich hereinkam, warf er mir einen raschen Blick zu und fuhr dann mit seiner Arbeit fort. Es dauerte nicht sehr lange und schließlich würde er sich mit mir abfinden müssen. Also wartete ich ruhig und ohne ein Wort.
    Langsam drehte er sich zu mir herum. Er trug verwaschene blaugrüne Kordhosen, die bei der Wäsche eingelaufen waren und deshalb ein wenig Hochwasser hatten, einen dunkelblauen Rollkragenpullover mit brauen Lederflicken auf den Ellenbogen und braune Schuhe. Er hatte sich seit einigen Tagen nicht rasiert und sein Gesicht war blass und grau. Das konnte von ein oder zwei durchwachten Nächten herrühren, aber es konnte auch an der Jahreszeit liegen oder an dem grellen Licht. Vielleicht konnte er mich aber auch nicht leiden und wechselte die Farbe je nach Umgebung, wie ein Chamäleon. Seine Augen waren genauso traurig wie beim letzten Mal, und sie schienen nicht gerade Aufmunterndes von mir zu erwarten. Die Augenlider waren schwer und er sah aus, als wolle er jeden Moment anfangen zu gähnen.
    Ich sagte: »Guten Tag, Gunnar Våge.«
    Er sagte: »Guten Tag, Varg Veum. Gibt es etwas Besonderes? Ich habe hier heute Clubabend, deshalb bin ich etwas in Eile.«
    Wir standen ungefähr in der Mitte des großen Betonraumes. Es hätte ein Schutzraum sein können (was es ja auch war) und wir die letzten Überlebenden des allerletzten Krieges, und ich hatte gerade gefragt, ob er eine Runde Karten spielen wollte, oder vielleicht Mensch ärgere dich nicht – und er hatte Nein gesagt, er sei etwas in Eile.
    Ich sagte: »Es geht um ein Messer.«
    »Um ein Messer?«
    Ich nickte. »Um ein Messer – und um einen Toten.«
    Er verzog den Mund und sah mich aggressiv an. »Ach Gott, Meisterdetektiv Blomkvist schlägt wieder zu. Jaja. Du brauchst einen Sündenbock, was? Du und die Bullen? Sollst du vielleicht den Fall für sie lösen? Den Joker aus dem Spiel ziehen – sozusagen?« Er hielt inne, aber ich sah ihn abwartend an. Er schien zu einem weiteren Monolog aufgelegt zu sein.
    »Aber das ist zu amateurhaft, Veum«, fuhr er fort. »Und es reicht nicht aus. Es gibt haufenweise Leute, die mit Springmessern herumlaufen. Joker ist bei Weitem nicht der Einzige. Und wenn du glaubst, dass diese Kleinigkeiten, die hier in der letzten Zeit passiert sind, zu so was Dramatischem führen könnten – wie einem Mord, dann irrst du dich, Veum, dann bist du verdammt noch mal auf dem Holzweg … Aber, bitte … du bist es, der sich lächerlich macht …«
    Er sah aus, als wolle er sich abwenden, und ich sagte: »Weißt du eigentlich, was sich am Mittwochabend abgespielt hat, Våge?«
    Er wandte sich nicht ab, sondern zuckte mit den Schultern. »Nicht mehr als das, was in den Zeitungen stand. Aber ich kann gut verstehen, dass ihr auf der Jagd nach einem passenden Sündenbock seid, und wer böte sich da mehr an als Johan? Ein notorisch krimineller Jugendlicher«, sagte er mit verzerrter Stimme. »Der berüchtigte Gewaltverbrecher, der legendäre Kidnapper, der gefürchtete Vergewaltiger: Johan Pedersen – sie nannten ihn Joker.

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