Dein Blick so kalt
skypen.«
Auch Ferdi ließ es sich nicht nehmen, Lou zu umarmen. Er wünschte ihr viel Erfolg beim Praktikum und fragte, ob er bei ihr übernachten könnte, wenn er nochmals wegen der Zimmersuche nach München kam. »Klar. Kein Problem.«
Lou sah den beiden nach, bis Ferdi in die Biedersteinstraße einbog und der Lieferwagen aus ihrem Blickfeld verschwand.
Mit dem Lift fuhr sie nach oben in ihre Wohnung, in der es seltsam still war. Obwohl sie froh war, eigene vier Wände zu haben, fühlte sich das auch ein wenig verstörend neu an und ohne ihre Freunde war das Zimmer plötzlich so leer.
Lou räumte ihre Sachen auf, rückte den Tisch unters Fenster und überlegte, ob sie Geld für Vorhänge ausgeben sollte. Es gab nur die Jalousie und die klemmte.
Als sich die Nacht herabzusenken begann und sie auf dem Balkon sitzend die Lichter der Stadt beobachtete, fühlte sie sich plötzlich einsam. Was die anderen in Straubing jetzt wohl machten? Ein Knödel wollte sich in ihren Hals setzen. Unwillig schüttelte sie den Kopf. Sie tat genau das, was sie wollte, und würde das durchziehen. Vermutlich war Heimweh ganz normal. Morgen würde die Sonne wieder scheinen und alles war gut.
Lou ging früh zu Bett, doch sie konnte nicht einschlafen. Die ungewohnten Geräusche im Haus hielten sie wach. Das leise Brausen des Verkehrs, das durchs offene Fenster drang. Hin und wieder bellte irgendwo ein Hund, eine Tür wurde geschlagen, der Lift rumpelte. Kurz nach zwei, schlurfende Schritte draußen auf dem Flur, die einen Moment verharrten. Vor ihrer Tür? Angespannt lauschte sie. Doch es war nichts zu hören. Wieder fiel ihr dieser Mann ein, der Prinzipienreiter. Sie fand ihn unheimlich, doch vermutlich war er ganz harmlos. Morgen würde sie Onkel Achim mal nach ihm ausfragen. Mit diesem Vorsatz schlief sie endlich ein.
Um halb acht klingelte der Wecker ihres Handys. Gut gelaunt hüpfte Lou aus dem Bett. Die Sonne schien. Ein flirrendes Leuchten lag über der Stadt. Die düsteren Gedanken der Nacht hatten sich längst wie Nebel in der Morgensonne verflüchtigt.
Sie duschte, machte sich dann einen Instantkaffee, löffelte einen Becher Erdbeerjoghurt und checkte auf Google Maps sicherheitshalber noch mal den Weg zur Agentur, den sie sich schon vor Tagen eingeprägt hatte. Voller Vorfreude schwang Lou sich um halb neun auf ihr Rad.
Der Verkehr war dicht. Gott sei Dank gab es Radwege. Zwei Minuten vor neun erreichte sie ihr Ziel, kettete das Rad an einen Laternenpfahl und holte die Patchworktasche aus dem Fahrradkorb. Als sie die Stufen zum Eingang hochging, hielt ein roter Mini in zweiter Spur. Eine junge Frau saß am Steuer, sah sich suchend um, klappte dann die Sonnenblende mit dem Spiegel herunter und musterte sich. Hektisch fuhr sie sich durch die Haarmähne und schob die Sonnenbrille hinein.
Gleich neun. Lou spurtete die Treppe hinauf und betrat die Agenturräume. Ab heute für zwei Monate ihr Arbeitsplatz. Yes! Wenn sie gut war, vielleicht sogar für drei Jahre! Und falls sie doch nicht qualifiziert genug war, wie Pa meinte? Dieser Gedanke war so neu, dass er sich als flaues Gefühl in ihren Magen legte. Lou verscheuchte ihn sofort wieder. Sie streckte den Rücken und lächelte Gunda Reinelt an, die wie bei ihrem ersten Besuch hinter dem Tresen im Eingangsbereich saß. »Hallo. Da bin ich wieder.«
Gunda erwiderte das Lächeln. »Ja, hab schon gehört, dass du eine der Praktikantinnen bist. Willkommen in diesen heiligen Hallen. Franziska wird gleich kommen.«
Durch die geöffneten Fenster drang das Schlagen einer Kirchturmuhr. Es war neun. Fünf Minuten später öffnete sich die Bürotür der Art-Direktorin. Franziska Wenzel kam heraus und begrüßte Lou. »Schön, dass du pünktlich bist.« Suchend sah sie sich um. »Sylke ist noch nicht da?«
Ein Schulterzucken war Gundas Antwort.
»Gut. Dann beginnen wir den Rundgang ohne sie.«
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet und die Frau aus dem roten Mini kam herein. Die Sonnenbrille steckte noch in der kastanienbraunen Haarpracht. Eine Figur so dünn wie Williams Kate. Designerklamotten im Brit-Chic-Style. Schmaler Rock, Hemdbluse mit aufgestelltem Kragen. Vermutlich eine der Grafikerinnen, dachte Lou. Doch weit gefehlt.
»Hallo Sylke.« Franziska Wenzels Tonfall klang leicht unterkühlt. Sie stellte die beiden Mädchen einander vor. »Sylke Holzer. Louise Meerbusch. Ihr wisst ja bereits, dass nur eine von euch den Ausbildungsplatz erhalten wird. Also gebt euer Bestes.
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