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Dein Blick so kalt

Dein Blick so kalt

Titel: Dein Blick so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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sich. »Aber wie kommen die in Ihre Wohnung?«
    Lous Onkel rieb sich die Schläfen, als könnte er so eine Antwort aus seinem Schädel pressen. »Ich weiß es nicht. Eingebrochen wurde nicht und nur ich habe einen Schlüssel.«
    Schlüssel. Wieder ging es um Schlüssel. Wie bei Lou. Angeblich gab es nur zwei zu ihrem Appartement. Doch das konnte nicht stimmen. Es musste noch einen weiteren geben.
    Und nun Onkel Achim. Auch er war sich sicher, dass außer ihm niemand einen Schlüssel zu seiner Wohnung besaß. Doch wenn das nicht stimmte?

62
    Es war immer hell. Nirgends gab es eine dunkle Ecke, in die sie sich zurückziehen konnte, die ihr Schutz bot. Ihr fehlte der Wechsel zwischen Tag und Nacht, der Orientierung gab und Struktur. Sekunden, Minuten, Stunden klumpten zu einem zähen Brei zusammen. Das helle Licht der Neonröhren zehrte an Lous Willenkraft, an ihrer Entschlossenheit. Wo waren ihr Mut und ihre Kraft? Zusammengerollt lag sie auf der Matratze, den Kopf ins Kissen vergraben, die Decke darübergezogen und beschwor schöne Bilder herauf, die sie daran hindern sollten, ganz durchzudrehen. Lysanders Beoblick, seine dunklen Haare, die unter der Mütze hervorquollen. Sein Lächeln. Sicher setzte er Himmel und Hölle in Bewegung, um sie zu finden.
    Sie sah die Blätter der Bäume am Flaucher, die sich im Wind bewegten, die Surfer am Eisbach und konnte beinahe das Rauschen des Wassers hören.
    Halt! Stopp! Falscher Gedanke!
    Sie hatte sich doch verboten, an etwas Trinkbares zu denken. An Cola und Limo, an Saft und Wasser, Kaffee und Milch. Nicht mal Obst sollte in ihrer Vorstellung auftauchen. Und schon gar nicht Pfirsiche, aus denen der Saft troff, wenn man hineinbiss, und der dann über die Finger und das Kinn lief. Und doch produzierte ihr Hirn jetzt genau diese Bilder. Saftige Pfirsiche. Gläser mit Cola. Flaschen mit kühlem Wasser. Sie konnte es beinahe schmecken und hätte schreien können.
    Der Durst nahm sich allen Raum, unterband jeden anderen Gedanken. Wasser. Bitte! Einen Schluck nur. Sie würde alles dafür geben. Alles. Wenn sie nur einen Schluck zu trinken bekam. Ihr Mund war so trocken, als wäre sie durch die Sahara gelaufen. Die Zunge zusammengeschrumpelt. Genau wie die tote Kröte, die sie mal im Garten gefunden hatte. Völlig vertrocknet. Die Haut ihrer Lippen wie rissiges Papier.
    Sollte sie ihn bitten, ihr etwas zu trinken zu bringen? Ihn anflehen? Auf Knien? Vielleicht war es genau das, was er erwartete. Ein Zeichen der Unterwerfung. Damit er sich stark und mächtig fühlen konnte. Der Herrscher des Universums. Dabei war er nur ein mieser Feigling. Und sein Reich beschränkte sich auf ein Kellerloch, seine Untertanen auf eine Gefangene. Eine Geisel. Und seine Armee bestand aus seinen kranken perversen Gedanken.
    Alles in ihr sperrte sich, ihm diesen Gefallen zu tun. Doch sie würde verdursten, wenn sie nicht klein beigab. Es blieb ihr nichts anderes übrig. Sie musste ihn bitten und durfte sich einfach nicht ausmalen, wie sehr ihn das freuen und befriedigen würde.
    Wenn sie ihn bat, dann würde diese Tür sich öffnen. Hoffentlich. Er würde hereinkommen. Eine dunkle Gestalt, die ihr eine Flasche reichte oder ein Glas. Sie konnte es beinahe sehen, danach greifen. Spürte schon, wie sie es an die Lippen setzte und gierig trank.
    Und wenn Gift darin war!
    Dieser Gedanke bohrte sich wie ein Pfeil in ihr Hirn. Daniela war vergiftet worden. Dasselbe hatte er ganz sicher auch mit ihr vor. Egal was er ihr vielleicht irgendwann einmal bringen würde, sie durfte nichts davon zu sich nehmen. Doch wie sollte das gehen?
    Sie musste hier raus!
    Sie musste die Schrauben lösen und wenn es nur mit den Fingernägeln ging, dann eben damit. Doch er durfte sie nicht dabei beobachten.
    Wenn sie nur an die Kamera käme. Irgendwie. Oder die Fenster, hinter denen das Reptilienauge lauerte, mit irgendwas verkleben könnte. Wenn sie das tat, würde er allerdings ziemlich sicher kommen und nachsehen, was los war.
    Wobei das bei genauerer Betrachtung ja eigentlich nicht schlecht war. Auch wenn sie Angst vor ihm hatte und ihn lieber nicht sehen wollte, ergab sich vielleicht die Möglichkeit, hier abzuhauen, falls er hereinkam. Wenn sie sich hinter der Tür versteckte und er nach ihr suchte, konnte sie vielleicht entkommen.
    Lou setzte sich auf. Das könnte vielleicht klappen. Jedenfalls war die Wahrscheinlichkeit, dass ihr das gelang, ein wenig größer als die Chance, die Platte mit den Fingernägeln abzuschrauben.

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