Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)
mich krank. Er hat gesagt, dann hätte ich halt etwas tun sollen, nicht bloß zugucken. Wir wären handgreiflich geworden, wenn Gus mich nicht fortgezerrt und den wutentbrannten Algie zurückgelassen hätte.
«Ich weiß, er ist allezeit dein Freund», sagte ich zu Gus, als ich mich wieder in der Gewalt hatte, «aber warum das so ist, kann ich nicht annähernd ergründen. Du hast ja gesehen, was er getan hat. Sag bloß nicht, dass du ihn entschuldigst.»
Gus errötete. «Keine Entschuldigungen. Diesmal nicht.»
Darüber habe ich mich grimmig gefreut.
Man sollte denken, eine Robbe bei lebendigem Leibe zu häuten, hätte gereicht, aber heute ist Algie noch weitergegangen – oder er wäre es, wenn wir zwei ihn nicht zurückgehalten hätten.
Tagelang hat er versucht, die Hunde daran zu hindern, an ihren Geschirren zu kauen, und heute Nachmittag erklärte er, genug ist genug, und hat seinen Geologenhammer gepackt.
«Zum Henker, was willst du damit?», fragte ich.
«Keine Bange, alter Knabe», sagte er leichthin. «Ist bloß ein Eskimo-Trick, den ich kenne. Man bricht ihnen die Backenzähne heraus. Funktioniert garantiert.»
Gus und ich haben ihn entsetzt angestarrt.
Algie verdrehte die Augen, als wären wir schwachsinnig. «Ist praktisch schmerzlos! Man hängt sie einfach auf, bis sie bewusstlos sind, dann klopft man mit dem Hammer drauflos. Sie sind eine Weile ’n bisschen benommen, kommen aber schnell wieder ganz zu sich. Huskys sind hart im Nehmen, wisst ihr das nicht?»
Ich bin langsam aufgestanden. «Wenn du dich den Hunden mit dem Hammer auch nur näherst, schlag ich dir die Fresse ein.»
«Jack.» Gus legte mir seine Hand auf die Schulter.
Ich schüttelte ihn ab. «Das ist mein Ernst, Algie.»
«Schlag nur zu, alter Knabe», sagte Algie und sein Gesicht färbte sich rosa. «Ich bin für die Hunde zuständig, nicht du.»
«Ich bin kein alter Knabe», sagte ich, «und ich bin durchaus imstande, dich aufzuhalten, also –»
«Jack, nicht», sagte Gus. «Überlass das mir.» Er wandte sich an Algie. Seine Augen waren glasig, seine Gesichtszüge wie in Marmor gemeißelt. «Als Expeditionsleiter, Algie, verbiete ich dir das ganz entschieden. Ist das klar?»
Algies blasse Wimpern zuckten. Dann stieß er einen Seufzer aus und warf den Hammer hin. «Herrgott, so ein Aufstand wegen ein paar Kötern!»
Ich denke, er hat nicht im mindesten begriffen, worum es bei dem «Aufstand» ging. Er glaubt wohl ernsthaft nicht, dass Tiere Schmerz fühlen. Und ich bin natürlich ein Muttersöhnchen, weil ich sehr wohl daran glaube.
Wenn er Isaak anrührt, breche ich ihm die Zähne heraus. Mal sehen, wie ihm das gefällt.
6. Oktober
Wir haben nur noch wenige Stunden Tageslicht.
Die Morgendämmerung kommt, und tief im Inneren glaubt man unwillkürlich, einen vollen Tag vor sich zu haben. Man stellt mit Schrecken fest, dass das Licht schon im Schwinden begriffen ist und bald wieder die Nacht hereinbricht. Man gewöhnt sich nur schwer an die Gewissheit, dass die Dunkelheit die Vorherrschaft gewinnen wird. Dass sie darauf wartet, sie an sich zu reißen.
Im Augenblick scheint der Mond, da ist es nicht allzu schlimm, aber man weiß, dass es nicht lange so bleibt. Eigenartig. Im Sommer, als es die ganze Zeit hell war, war der Mond so schwach, dass man ihn kaum bemerkt hat. Jetzt verfolgt man jede seiner Bewegungen.
Ich versuche mich darin zu üben, meinen Weg im Dunkeln ohne Taschenlampe zu finden. Ich kann es nicht leiden, wenn der Lichtstrahl ins Auge fällt und alles jenseits davon undurchdringlich macht. Ich nehme an, das ist genauso, wie wenn man in der Hütte eine Lampe anzündet, die dann verhindert, dass man beim Hinausschauen etwas sieht. Oder vielmehr, sie verhindert es nicht ganz; es gibt Abstufungen. Zündet man eine Lampe an, kann man die Hunde oder den Bärenpfosten noch erkennen. Mit zweien wird es schon schwieriger. Mit drei Lampen sieht man nur noch deren eigene Spiegelbilder in den Fensterscheiben. Das ist gewiss eine alltägliche Erkenntnis, aber hier trifft sie mich aufs Neue. Schon seltsam, dass Licht einen am Sehen hindern kann.
Es ist kälter geworden, minus fünfzehn Grad heute. Den Ofen schüren ist zu einer wichtigen Beschäftigung geworden. Und man braucht eine Ewigkeit, um sich anzuziehen, und wenn es nur ist, um Scheite vom Holzstoß gleich vor der Türe zu holen. Wenn man zurückkommt, muss man sich den Schnee von der Kleidung klopfen und den Reif aus dem Bart klauben, bevor man die Hütte
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