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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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kurze Zeit nach unserer Ankunft in Gruhuken, machte er eine Bemerkung über meine Abneigung gegen die Überbleibsel der Minen. Jacks Reaktionen auf die Dinge sind ungeheuer heftig. Das muss ihm das Leben recht schwer machen. Und doch verstehe ich, weshalb ihm das «Aufrühren der Vergangenheit», wie er sich ausdrückt, gegen den Strich geht, weil ich genauso bin. Ich möchte, dass Gruhuken uns gehört, uns allein.
    Ich war überrascht und befriedigt. Ich hatte nicht gewusst, dass Gus genauso empfand.
    Ein paar Seiten weiter stieß ich auf einen leicht beunruhigenden Abschnitt über Eriksson. Was für ein großartiger Bursche. In elender Armut auf einem Hof in der Provinz Trøndelag geboren; als Kind von Mai bis Oktober barfuß gelaufen (in Nordnorwegen!). Mit zehn Jahren von zu Hause fortgeschickt, kehrte niemals zurück. Keine Schule, brachte sich das Lesen selbst bei, anhand der Bibel. Großer Respekt für Schiff und Mannschaft, wenn auch zu zurückhaltend, um es zu zeigen. Besonnen, belastbar, höflich, unerbittlich. Und abergläubisch. Heute Nachmittag ließ er einen Eimer Fischinnereien über Bord werfen, um die Seemöwen anzulocken: Wie viele Seeleute glaubt auch er, dass die Möwen Glück bringen und das Böse fernhalten. Algie hat darüber gelacht. Ich bat ihn, das Eriksson um Himmels willen nicht hören zu lassen. Ich bin unter Menschen von E.s Schlag aufgewachsen. Menschen vom Land: gottesfürchtige Christen, doch sobald man an der Oberfläche kratzt, stößt man auf jede Menge kauzige Überzeugungen. Das Komische daran ist, dass oft genug ein Fünkchen Wahrheit darin steckt.
    Wieso hatte Gus diese Betrachtungen für wert befunden, aufgeschrieben zu werden? Und dann das Datum. Der 9. August. Da waren wir bereits seit einer Woche in Gruhuken.
    Einen Tag darauf dann dies: In einem meiner Bücher heißt es, einige Teile von Spitzbergen seien verflucht. Ich fragte E. danach, doch er wollte weder ja noch nein sagen. Er sagte (und ich übersetze seine nicht ganz so redensartliche Ausdrucksweise): «Hier oben wird sich ein Mann gewisser Dinge bewusst, die er weiter südlich nicht wahrnehmen kann.»
    Verwirrenderweise ließ Gus dies unkommentiert und erging sich stattdessen in einer zweiseitigen Naturbeobachtung. Das war mir an ihm bereits aufgefallen. Er besitzt offensichtlich die Fähigkeit, sich von Unangenehmem gänzlich zu lösen: es auszublenden und ganz und gar in etwas anderes einzutauchen. Vielleicht ist auch das eine Fähigkeit, die er in Harrow erlernt hat.
    31. August. Mit diesem Ort stimmt etwas nicht. Das spüre ich, seit die Isbjørn fort ist .
    Was? Was?
    Jener Tag, als ich im Kanu saß und beobachtete, wie der Seetang sich im Wasser regte. Ich habe Dinge gesehen.
    Du lieber Himmel, Gus, was hast du gesehen? Fieberhaft durchblätterte ich die Seiten. Nichts als Vogelbeobachtungen und Charakterstudien der Hunde.
    Ich kann es nicht fassen. Er wusste es? Die ganze Zeit? Wir haben Wochen miteinander verbracht!
    16. September. Wieso hat Jack nichts gespürt? Gestern Nacht haben wir unser erstes Polarlicht gesehen. Ich hob an, es ihm zu erzählen, ich wollte es wirklich. Doch er hat dieses ernste Gesicht gemacht und das Thema gewechselt. Ist es tatsächlich möglich, dass er nichts gespürt hat? Von uns dreien ist er der Stärkste, der Besonnenste und am praktischsten veranlagt. Doch er ist auch einfühlsam und besitzt eine große Vorstellungskraft. Schließlich hat ihn der erste Anblick von Gruhuken beinahe zu Tränen gerührt – und er war derart besorgt um ein verlassenes Trottellummenküken, dass er noch einmal kehrtmachte und Ewigkeiten danach suchte. Es erscheint mir seltsam, dass Jack der Einzige sein soll, der nichts bemerkt hat .
    Der Einzige? Doch wohl gewiss nicht Algie …
    10. Oktober. Armer Algie. Heute Morgen habe ich ihn zu einem Spaziergang gedrängt, und er hat mir alles gestanden. Er sagte: «Ich weiß selbst, dass ich wie ein Angsthase klinge, der die Hosen gestrichen voll hat, aber dieser Ort ist mir nicht geheuer. Von Zeit zu Zeit fühle ich mich regelrecht – beobachtet. Und einmal, auf einem der Felsen, da kamen mir entsetzliche Gedanken. Nein, nicht direkt Gedanken, eher ein Bild in meinem Kopf. Ich habe Messer gesehen. Ich will wirklich nicht mehr dazu sagen. Und es hat nach Paraffin gerochen, ich schwör’s. Ich wollte nur weg von da, aber ich konnte mich nicht bewegen, es war, als wäre ich an Händen und Füßen gefesselt. Das Bild ist immer noch in meinem Kopf, ich werde

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