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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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bin. (Obgleich mir der Widerspruch nicht verborgen bleibt: Einerseits glaube ich nicht, dass irgendetwas von mir den Tod überdauert, andererseits weiß ich, dass es in Gruhuken spukt.)
    Wenn es das nicht ist, was dann? Versuche ich, eine Art Exorzismus zu betreiben? Ist das möglich, indem man Dinge niederschreibt?
    Nach dem Krieg litt Vater an grauenvollen Albträumen. Im Grunde litten wir alle daran, denn seine Schreie weckten das ganze Haus auf. Eines Nachts spitzten die Dinge sich zu. Schlafwandelnd griff Vater nach seiner Armeepistole, die er unter dem Kopfkissen verwahrte, und erschoss einen deutschen Offizier, den er – so erzählte er uns hinterher – undeutlich am Fußende seines Bettes hatte stehen sehen. Die Kugel durchdrang die Schlafzimmerwand und flog fünfzehn Zentimeter über meinem Kopf vorbei, denn ich lag schlafend nebenan. Am folgenden Tag nahm Mutter die Waffe und «beseitigte» sie (ich habe keine Ahnung, wie) und schickte Vater anschließend zum Nervenarzt. Der Arzt riet ihm, seine Erlebnisse im Schützengraben niederzuschreiben – «um seine Dämonen auszutreiben». Natürlich tat er es nicht. Die Albträume vergingen dennoch mit der Zeit. Damals litt er bereits an der Tuberkulose, die ihn zwei Monate später ums Leben brachte.
    Doch ich frage mich jetzt, ob es das ist, was ich versuche. Meine Dämonen auszutreiben?
    Und auch hier ein Widerspruch. Ich möchte den Spuk austreiben, indem ich darüber schreibe, aber laut darüber sprechen möchte ich nicht, aus Angst, ihn herbeizurufen.
    Und wie kann ich ihn austreiben, wenn ich nicht weiß, was es ist?
    Später
    Das war ein Exkurs, doch er hat mir geholfen, meine Gedanken zu sortieren.
    Ich weiß, dass es in Gruhuken spukt. Ich weiß es. An diesem Ort geht ein böser Geist um. Er ist kein Echo. Er hegt eine Absicht. Er will mir Böses.
    Und ich weiß nicht, wie ich ihn besänftigen soll, oder austreiben, weil ich nicht weiß, wer – oder was – er ist. Oder was er will.
    Bjørvik weiß etwas. Dessen bin ich mir sicher. Ich muss ihn dazu bringen, es mir zu sagen. Und ich kann es nicht länger aufschieben. Bald wird er wieder fortgehen. Er ist seit beinahe einer Woche hier; er muss nach seinen Fallen sehen.
    Ich habe mir überlegt, mit ihm zu gehen. Doch wir müssten ohne die Hunde gehen; sie würden die Füchse verscheuchen und seine Lebensgrundlage zerstören. Und zurücklassen kann ich sie nicht, ich kann sie nicht erschießen, ich kann die Expedition nicht im Stich lassen. Immer wieder dieselben Gründe. Außerdem ist es nur noch eine Frage von Tagen, bis Gus und Algie zurückkehren.
    Ich kann es nicht länger hinausschieben. Ich muss mit Bjørvik sprechen. Er muss mir sagen, was er weiß.

[zur Inhaltsübersicht]
    14
    16. November
    Morgen geht Bjørvik. Er hat mich gebeten mitzukommen.
    Es war nach dem Abendessen; wir saßen bei der zweiten Tasse Kaffee. «Mister Yack. Wenn ich gehe, kommst du mit, jaa? Du nimmst die Hunde mit. Du bleibst bei mir.»
    Es berührte mich zutiefst, dass er sogar anbot, die Hunde mitzunehmen, doch zugleich erschreckte es mich. In welcher Gefahr wähnt er mich, wenn er seinen Lebensunterhalt aufs Spiel setzt, nur um mir zu helfen?
    Einen verrückten Augenblick lang hätte ich beinahe ja gesagt. Doch das kann ich ihm nicht antun. Und ich kann Algie und Gus unmöglich die Treue brechen. Na gut, zum Henker mit Algie, ich kann Gus nicht die Treue brechen. JACK DU BIST ERSTAUNLICH! OHNE DICH WÄRE EXPEDITION GESCHEITERT! Darauf läuft alles hinaus.
    Ich stelle mir ständig vor, wie es sein wird, wenn er zurückkehrt. Seine blauen Augen glänzen vor Dankbarkeit und Bewunderung. Du hast es geschafft, Jack! Ich hätte nicht geglaubt, dass irgendjemand das schaffen würde, aber du bist standhaft geblieben!
    Ich weiß selbst, wie lächerlich das ist, und ich winde mich innerlich, während ich es aufschreibe, doch das hindert mich nicht daran, mir diese Szene immer wieder vorzustellen.
    Und deshalb sagte ich nein, als Bjørvik mich bat, mit ihm zu kommen.
    Während ich versuchte, ihm meine Gründe begreiflich zu machen, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich bereits zum dritten Mal ein Angebot ausgeschlagen hatte, Gruhuken zu verlassen. Zuerst Eriksson, dann Gus, jetzt Bjørvik. Es liegt ein grauenhaftes Regelmaß darin. Tauchen die Dinge in Märchen nicht auch stets dreimal auf? Und in der Bibel? Noch ehe der Hahn dreimal kräht … Es ist, als sei es mir von vornherein bestimmt gewesen, alleine hierzubleiben.
    Nachdem

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