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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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ich geendet hatte, sagte Bjørvik nur: «Aber Mister Yack. Deine Freunde. Wie lange noch, bis sie kommen?»
    «Nicht mehr lange. Sie machen sich bald auf den Weg, in spätestens drei Tagen werden sie hier sein. Morgen früh werden sie mir schreiben, um alles endgültig festzumachen.»
    Er antwortete nicht.
    Ich holte die Kaffeekanne und füllte unsere Tassen auf. Ich verschüttete etwas Kaffee auf den Tisch. Ich setzte mich und sah ihn an. Ich sagte: «In Gruhuken spukt es.»
    Er sah mich unverwandt an. «Jaa.»
    Heißt es nicht, es macht die Dinge leichter, wenn man darüber spricht? Nun, das tat es nicht. Mir war, als hätte ich das Fenster geöffnet und etwas eingelassen.
    «Erzählen Sie es mir», sagte ich. «Erzählen Sie mir, was an diesem Ort umgeht.»
    Er trank einen Schluck Kaffee und setzte die Tasse ab. «Ist nicht gut, darüber zu sprechen.»
    «Aber wir müssen.»
    «Mister Yack, es gibt Dinge auf der Welt, die wir nicht verstehen. Am besten, es bleibt dabei.»
    «Mister Bjørvik, bitte. Ich muss es wissen.»
    Lange sagte er nichts und starrte nur in das rote Herz des Ofens. «Niemand kannte seinen Namen», begann er schließlich. «Ein Fallensteller. Man gab ihm Schimpfnamen. Er schien es nie zu hören.»
    Ich starrte ihn an. «Sie – Sie kannten ihn?»
    «Niemand kannte ihn. Einmal, als ich jung war, habe ich ihn gesehen. In Longyearbyen, vor sechsundzwanzig, siebenundzwanzig Jahren.» Er verzog das Gesicht. «Als er noch am Leben war.»
    Ich schluckte. «Also war das – 1910, so ungefähr. Vor dem Krieg.»
    «Jaa. All das war vor dem Krieg.»
    Was er mir dann erzählte, kam stoßweise aus ihm heraus, immer wieder von langen Pausen unterbrochen. Es war ihm zuwider, mir davon zu erzählen, doch ich ließ nicht locker. Niemand wusste, woher der Fallensteller gekommen war. Aus dem wilden Norden Norwegens. Aus irgendeiner armen Gegend. Er arbeitete sich auf einem Walfänger bis Spitzbergen durch. Er war hässlich, und er hatte eine unterwürfige Art an sich, die in den Menschen das Schlechteste zum Vorschein brachte, vor allem bei Männern. Er musste die schmutzigsten, entwürdigendsten Aufgaben erledigen. Mehr brauchte es gar nicht: lediglich eine unterwürfige Art und ein hässliches Äußeres. Bjørvik bezeichnete ihn mit einem norwegischen Wort; ich glaube, es heißt gottverlassen. Einer, den das Leben ausgemustert hat.
    In Longyearbyen versuchte er, einen Platz in den Minen zu ergattern, doch es fehlte ihm an Kraft, und so nahmen sie ihn nicht. Er versuchte, Reisenden Fossilien zu verkaufen, doch sein Aussehen schreckte sie ab. Irgendwie konnte er Arbeit auf einem Robbenfänger ergattern und gelangte so in eine einsame Bucht oben im Norden. Dort baute er sich eine Hütte aus Treibholz und fing mit dem Fallenstellen an.
    Ein paar Jahre lebte er dort für sich allein. Jeden Sommer tauchte er in Longyearbyen auf, um seine Felle zu verkaufen und Vorräte aufzufüllen. Er konnte nicht lesen und hatte nie den Umgang mit Geld gelernt, und so betrogen die Leute ihn. Nach ein paar Tagen war er wieder verschwunden, zurück an den einzigen Ort, wo niemand ihm die Hunde auf den Leib hetzte oder ihm Schimpfnamen gab.
    Gruhuken.
    Ein Minenkonsortium nahm es ihm weg. In dieser riesigen, unermesslich weiten Wildnis hatten sie es ausgerechnet auf diese einsame Bucht abgesehen. Sie waren hier auf Kohle gestoßen. Sie steckten ihren Claim ab und jagten ihn davon.
    «Das verstehe ich nicht», sagte ich. «Wir haben das Claimschild gefunden. Die Edinburgh Prospecting Company, oder so etwas Ähnliches, aber das war auf 1905 datiert. War das nicht, ehe er hierherkam?»
    «Jaa, sicher. Aber weißt du, Mister Yack, diese Schilder sagen, was sie wollen.»
    «Sie meinen – sie haben ihren Claim rückdatiert? War das nicht illegal?»
    Er schnaubte. «Das hier war Niemandsland! Gesetzlos! Die haben gemacht, was sie wollten!»
    «Also obwohl er als Erster hier war …»
    «Er war einer, die waren viele. Sie haben ihn rausgeschmissen.»
    «Und dann?»
    Er kaute an seinem Schnauzbart. «Er kam wieder … Die behaupten, sie haben ihn fortgeschickt. Die behaupten, sie haben ihn nie wiedergesehen.»
    «Die behaupten? Sie meinen, so war es nicht?»
    Er ließ den Blick zum Feuer schweifen. «Ich weiß nicht. Danach hat ihn keiner mehr gesehen. Lebendig.»
    «Aber – Sie wissen etwas. Ja?»
    Er rutschte unbehaglich hin und her. «Mister Yack, wenn Bergmänner Geld haben, trinken sie. Wenn sie trinken, reden sie. In jenen Tagen habe

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