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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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unermeßlich. »Manche Dinge, ets , sind einfach nicht drin. Beharre also nicht darauf, pf .« Ich war frappiert, daß er als Mitglied der Real Academia so viele in unserer Sprache ungebräuchliche und im Prinzip undeutbare Interjektionen verwendete, die mir freilich vollkommen nachvollziehbar und eindeutig vorkamen, vielleicht hatte er da ein besonderes Talent, er war ein Meister der Lautmalerei, ein Erfinder, ein Schöpfer neben allem anderen. ›Derr‹ drückte sicherlich ein Veto aus. ›Ets‹ interpretierte ich als ausgesprochen ernste Mahnung. ›Pf‹ klang für mich nach hoffnungsloser Fall.
    Aber Rafita war ein Kind seiner Zeit und wollte es nicht begreifen oder begriff es wirklich nicht, ich weiß nicht, ob das heute nicht allzu häufig auf dasselbe hinausläuft. Jedenfalls nahm er einen neuen Anlauf:
    »Sie werden sehen, Professor, das hier gefällt Ihnen bestimmt, Stielaugen werden Sie machen. Los geht’s.« Da sah ich, wie er mit lächerlichen Bewegungen die Hände und Arme schüttelte wie ein Rapper (das Wort ›lächerlich‹ bezieht sich nicht auf ihn, obwohl das auch passt, sondern auf all jene, die wild gestikulierend ihr witz- und verdienstloses Gewäsch von sich geben, ein Triumphzug des Halleluja-Rezitativs, gütiger Himmel, und das im 21 . Jahrhundert), er vollführte mehr oder weniger wellenförmige Armbewegungen, die als die zornigen Gesten eines Schwarzen aus einem Armenviertel durchgehen sollten, nur daß gelegentlich die grausame spanische Ader des Interpreten zum Vorschein kam, und dann glichen seine Finger denen einer Flamencosängerin beim desplante . Das alles war jämmerlich, im Einklang mit seinen schauderhaften Versen, eine unerträgliche Leier, die er herunterrasselte, während er sich ohne Unterlaß in den Beinen wiegte, im vermeintlichen Rhythmus einer so eingebildeten wie fadenscheinigen Begleitmusik: »Ich mach dich zur Marionette, du bläst mir die Klarinette« – so begann er, mit einem derartigen Reim –, »während sich die Schlangen mästen, wohlgenährt von meinen Resten, ich werd dir mein Gift verpassen, Gegenwehr solltest du lassen, geh mir ja nicht auf die Nüsse, denn sonst setzt es Knöchelküsse, chu-ju, ju-chu.« Und fast ohne Atem zu holen stürzte er sich in die nächste Strophe oder den nächsten Block oder was auch immer: »Meine Kugeln haben Hunger und genug vom Rumgelunger, jetzt sind sie auf dein Gehirn aus und bereiten ihm den Garaus, Pulverdampf zwischen die Hörner, durch die Ohren Schrot und Körner, und du kotzt aus allen Poren, bist im Scheißhaus, bist verloren, chu-ju, ju-chu.«
    »Basta!« Der überaus bedeutende Professor Rico musterte ihn mit stierem Blick, noch so ein Ausdruck, dessen eigentliche Bedeutung fast niemand mehr kennt, der aber von allen verstanden wird; und ich vermute, er hatte ihm ebenso stier zugehört, wenn das möglich ist, was ich bezweifle, aber nicht sicher weiß. Jedenfalls war er bleich geworden, als er diese schmuddligen Achtsilber vernahm, ich vermutlich ebenfalls, es gab dort keinen Spiegel, in dem ich das hätte überprüfen können. Anschließend aber spürte ich, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg, und ich wurde wohl rot, eine Mischung aus Zorn und stellvertretender Scham: Wie war es möglich, daß dieser spektakuläre Knallkopf den bewunderungswürdigen Francisco Rico mit einem derartigen Unfug und Schwachsinn aufhielt und belästigte? Wie konnte er glauben, daß dieses (dazu noch ordinäre) Zeug auch nur den geringsten poetischen Wert hatte, und wäre es nur als falscher Limerick, und ein billigendes Urteil von einer unserer größten literarischen Koryphäen erwarten, die in London zu Besuch war, einer Leuchte der Wissenschaft, die vielleicht noch erschöpft war von der Reise, vielleicht noch Zeit brauchte für die letzten Federstriche an dem meisterhaften Vortrag für den Abend? Mich überkam eine ähnliche Empörung wie damals, als ich ihn auf der raschen Tanzfläche der Diskothek entdeckt hatte, wie er mit seinem hirnlosen Haarnetz die leichtsinnige Flavia geißelte. Damals war mir ein einziger, kurzer und einfacher Gedanke gekommen, wobei ich ja noch nichts von den bevorstehenden traumatischen Konsequenzen des Vorfalls wußte: ›Ich würde ihm eine nach der anderen kleben und nicht mehr aufhören.‹ Später war mir das wieder eingefallen, mit Bedauern, mit einer Art stellvertretender Reue (vor allem in meinem, aber auch vage in Tupras Namen, dieser schien nichts zu bereuen, natürlich nicht, er handelte

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