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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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Garza nicht angefaßt, vielleicht befürchtete er, daß gleich auch noch Tupra hinter mir auftauchen würde, so als müßten wir für ihn fortan immer zusammen auftreten. Doch ich war alleine und ohne Wissen meines Chefs gekommen, er wäre über meinen Besuch nicht erfreut gewesen. ›Er soll dich nicht anrufen, um Rechenschaft von dir zu fordern, er soll dich in Ruhe lassen, er soll dich vergessen‹, hatte er mich aufgefordert, dem Gefallenen von ihm auszurichten, ich hatte es ihm übersetzen müssen, bevor er ihn liegenließ und im Hinausgehen mit dem Schoß seines bewaffneten Mantels sein Gesicht streifte. ›Er soll sich an den Gedanken gewöhnen, daß es nichts gibt, wofür er sie fordern kann, es gibt keine Gründe für Anklagen oder Proteste. Er soll es nicht erzählen, er soll es für sich behalten. Nicht einmal als Abenteuer. Und er soll sich daran erinnern.‹ Und Rafita hatte die Anweisungen wortwörtlich befolgt, er hatte sich eine Räuberpistole ausgedacht, um vor seinen Leuten zu rechtfertigen, daß er so übel zugerichtet war. Und natürlich würde er sich daran erinnert haben, mehr noch, bestimmt hatte er seither nichts anderes getan, ein Nervenbündel bei Tag und bei Nacht, im Wachen und im Schlafen, bei Nacht und bei Tag, selbst wenn er es hinterher wagte, Rico einen Rap vorzutragen und andere unvorstellbare Trotteleien zu begehen. Als er mich dort auf dem Korridor sah, so nahe, aus seiner Sicht vielleicht lauernd, da dachte er bestimmt panisch, daß ich es war, der ihn nicht in Ruhe ließ und nicht vergaß. ›Er hätte seinen Kopf verlieren können, er war kurz davor‹, hatte Reresby hinzugefügt. ›Und da er ihn nicht verloren hat, sag ihm, daß noch Zeit dafür ist, an einem anderen Tag, an irgendeinem, wir wissen, wo wir ihn finden können. Das soll er nicht vergessen, sag ihm, daß das Schwert immer da sein wird.‹ Diesen letzten Satz hatte ich ausgelassen, ich hatte ihn nicht übersetzt, ich hatte mich geweigert, ihn zu übernehmen, den Rest allerdings schon. De la Garza mußte sich das alles ins Gedächtnis gegraben haben, obwohl er nach dem Schock des spitzen Stahls und dem Aufprall gegen die stumpfen Stangen nicht ganz bei Bewußtsein gewesen war: ›Wir wissen, wo wir dich finden‹. Nichts traf mehr zu als das, und jetzt hatte ich ihn gefunden und war sein Schrecken, seine Bedrohung.
    ›Er hat eine unüberwindliche Angst vor mir‹, dachte ich beiläufig. ›Wie kann das sein, ich glaube, daß ich bisher kaum jemandem welche eingeflößt habe, und jetzt ist dieser Mann erstarrt und eingeschüchtert, eine solche Furcht überkommt ihn bei meinem Anblick, obwohl er sich hier in seinem unverletzlichen Büro in der Botschaft befindet, zusammen mit einem Mitglied der Real Academia, objektiv ist er in Sicherheit, er bräuchte nur zu rufen, damit andere Diplomaten kämen und irgendein Wachmann oder Sicherheitsbeamter. Und doch spürt er, daß sie zu spät kommen würden, wenn ich eine Pistole oder ein Messer hätte und auf der Stelle gegen ihn einsetzte, ohne Rücksicht auf mein Schicksal und ohne ein Wort, das ist es, was er intuitiv weiß, oder vielleicht ist die Erinnerung in ihm zu lebendig, daß nichts mehr zu machen gewesen wäre, als er die doppelte Schneide sah: Der Tod kommt in Sekundenschnelle, man lebt, und ehe man sich’s versieht, ist man tot, so kommt es manchmal und im Krieg und bei seinen Bombenangriffen von sehr hoch oben in der Luft natürlich die ganze Zeit, bei dieser weit verbreiteten und immer unrechtmäßigen Praxis, gewohnheitsmäßig und akzeptiert, aber immer unehrenhaft, viel mehr als die Armbrust in Zeiten jenes Richard Yea and Nay oder Ja und Nein, des wankelmütigen Cœur de Lion, dem im ausgehenden 12 . Jahrhundert ein Pfeil aus einer unehrenhaften Armbrust ein Ende machte: Man hört den Knall, und dann hört und sieht man nichts mehr, und nicht man selber, sondern vielleicht ein anderer, der danach noch am Leben ist, hört das Pfeifen der Kugel, die unsere Stirn durchbohrt. Ja, der Mann ist in diesem Augenblick bereit, alles zu tun, was ich ihm befehle, er hat die Furcht vor mir – oder vor Tupra, aber ich bin bereits dessen Vertreter oder Gefolgsmann oder Symbol – nicht nur in der Wirklichkeit durchlebt, während einiger Minuten, die ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen sein müssen, wie mir selbst, sondern er hat sie auch viele Male vorweggenommen, im Schlaf und im Wachen: Vielleicht hat er uns wie zwei Killer mit festem Schritt auf sich zukommen sehen, um

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