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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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nicht verstand und sich entschuldigte, erschrocken über Ricos unverblümte oder brüske Reaktion (die er sich jedoch selbst zuzuschreiben hatte), sah er mich und erkannte mich auf Anhieb, so als fürchtete er seit langem, mir zu begegnen, oder als träumte er häufig von mir, und ich drückte ihm in seinen Alpträumen auf die Brust. Als er nach rechts blickte, sah er mich auf einer geraden Linie dort stehen, auf der anderen Seite des Korridors wie ein steinerner Gast, und erkannte auf der Stelle, wer ich war. Und ich sah die unmittelbare Wirkung dieser Überraschung und dieses Wiedererkennens. De la Garza krümmte sich instinktiv vollständig zusammen, wie ein Insekt, das sich bei Wahrnehmung einer Gefahr kleinmacht, zusammenzieht, schrumpft, das zu verschwinden und sich auszulöschen versucht, um nicht vom Tod erreicht, um nicht bemerkt oder gesehen zu werden und um nicht zu existieren und sich so zu verweigern (›Nein, ich bin nicht, was du siehst, ich bin nicht da, täusch dich nicht‹), weil die einzig sichere Methode, den Tod zu umgehen, darin besteht, nicht mehr zu sein, oder vielleicht, noch besser, nie gewesen zu sein. Er drückte die Arme nahe an die Flanken, aber nicht wie ein Boxer, der sich verteidigen oder decken will, sondern so, als ob er vor einer plötzlichen großen Kälte erzitterte. Und er zog auch den Kopf ein, ähnlich wie er es auf der Behindertentoilette getan hatte, als er das Gesicht wandte und zum ersten Mal das trübe Aufblitzen des Metalls erblickte und die doppelte Schneide sah, flüchtig, aus dem Augenwinkel, kurz davor, auf ihn niederzusausen: Er vergrub den Kopf zwischen den Schultern wie in einem Krampf, diese Bewegung hatten wahrscheinlich alle Guillotinierten in zweihundert Jahren gewollt oder ungewollt gemacht und alle, die im Lauf von hundert Jahrhunderten das Beil zu spüren bekamen, und selbst die Hühner und Truthähne, seit es dem ersten gelangweilten oder hungrigen Menschen einfiel, einen davon zu köpfen. Und wie schon damals zog sich seine Oberlippe hoch, sie rollte sich fast ein, es war eine Grimasse, sie entblößte das trockene Zahnfleisch, und daran blieb mangels Spucke die Innenseite der Lippe hängen. Und in seinen Augen sah ich eine irrationale, alles beherrschende, ausschließende Furcht, als hätte meine bloße Anwesenheit ihn der Realität entzogen und er in Sekundenschnelle vergessen, wo er sich befand, in der Spanischen Botschaft am Hofe von San Jacobo oder San Jaime, wo er Tag für Tag arbeitete oder die Zeit herumbrachte, umgeben von Wachleuten und Kollegen, die ihn beschützen würden, sie waren nicht weit; er hatte vergessen, daß er den verärgerten namhaften Professor vor sich hatte und ich ihm dort nichts antun konnte. Das Verstörendste für mich, das, was mich verwirrte und sprachlos machte, war, daß ich ihm nichts tun wollte, eher im Gegenteil, ich wollte mich nach seiner Genesung erkundigen, nach seiner Gesundheit, feststellen, daß nichts Irreparables passiert war, und so wenig ich ihn auch leiden konnte, wenn sich eine Gelegenheit ergab, wollte ich ihm sogar sagen, daß es mir leid tat. Es tat mir leid, nicht mehr unternommen, es nicht verhindert, ihm nicht bei der Flucht geholfen oder ihn verteidigt zu haben, nicht in der Lage gewesen zu sein, Tupra zur Vernunft zu bringen (wobei der gut abwog und nichts überstürzt oder kopflos tat). Und ich hätte den Trottel auch gerne davon überzeugt, daß er alles in allem noch Glück gehabt habe und glimpflich davongekommen sei und daß mein Kumpel Reresby ihm trotz seiner Brutalität, so unglaublich das auch scheinen könne, einen enormen Gefallen erwiesen habe, indem er die Initiative ergriff und dadurch verhinderte, daß der blutrünstige Manoia seine Bestrafung in die Hand nahm (ich hatte gesehen und nicht gesehen, wie er auf dem Video handelte, er war tatsächlich Sir Cruelty , ich hatte die Augen geschlossen, zuhalten wollte ich sie mir nicht, eigentlich wäre es Anlaß genug gewesen, sie zu verbinden). Aber nichts von alledem konnte und durfte ich ihm erklären, schon gar nicht vor Rico, der angesichts von Rafitas Veränderung mit bestenfalls herablassender Neugier zu mir herübersah (er verachtete wohl alles, was mit ihm zusammenhing, sicher hielt er ihn für einen völligen Schwachkopf und Spinner).
    Es war mir überaus unangenehm, vor allem aber war es unannehmbar, daß ich Entsetzen auslöste. Zweifellos geschah dies durch Gedankenverbindung, durch Angleichung, schließlich hatte ich De la

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