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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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letzten Dreck. Er ist sehr gefürchtet, sehr unfreundlich, sehr ätzend. Laß dir um Himmels willen nicht einfallen, sie zu unterbrechen, Deza. Er ist Mitglied der Real Academia.«
    »Dann wird es das Beste sein, wenn der Professor dich nicht zu Gesicht bekommt. Ich warte hier, bis sie fertig sind. Mach du lieber, daß du wegkommst, nicht daß du noch Ärger kriegst. Danke für alles und keine Sorge, ich finde mich schon zurecht.«
    Garralde zögerte einen Moment lang. Er traute mir nicht, und aus gutem Grund. Doch dann kam er wohl zu dem Schluß, daß er, was auch geschah oder was ich auch anstellte, besser nicht in der Nähe sein sollte. Er entfernte sich über den Korridor, drehte sich aber alle paar Schritte um und wiederholte lautlos, bis er aus meinem Blickfeld verschwunden war (man konnte es ihm gut an den Lippen ablesen):
    »Geh nicht rein, unterbrich sie bloß nicht. Er ist Mitglied der Akademie.«
    Ich hatte von Tupra und Rendel gelernt, mich fast geräuschlos zu bewegen, auch verschlossene Türen zu öffnen, wenn sie keine besonderen Schwierigkeiten aufwiesen, oder welche zu verbarrikadieren, die zur Behindertentoilette zum Beispiel. Also ging ich weiter bis zu der Stelle, wo sich De la Garzas Büro befand, hielt mich aber so weit wie möglich auf der gegenüberliegenden Seite des Korridors. Von dort aus hatte ich fast den gesamten Raum im Blick, auf jeden Fall sah ich die beiden, den Trottel und Rico, dessen Gesicht ich aus dem Fernsehen und den Tageszeitungen gut kannte, und er war praktisch unverwechselbar, ein kahlköpfiger Mann, der sich interessanter- und wagemutigerweise nicht wie ein Kahlkopf verhielt, häufig war sein Blick mürrisch oder gar angewidert, er mußte die ihn umgebende Ignoranz sehr satt haben, er mußte pausenlos darüber fluchen, in dieser ungebildeten Epoche geboren zu sein, für die er zweifellos eine ungeheure Verachtung empfand; seine Äußerungen in der Presse und in seinen wissenschaftlichen Schriften (ich hatte das eine oder andere davon gelesen) vermittelten den Eindruck, daß er sich nicht an zukünftige, kultiviertere Leser wandte, auf die er gewiß nicht hoffte, sondern an andere, längst verstorbene aus der Vergangenheit, als glaubte er, in Büchern – auf beiden Seiten der Bücher: sie sprechen inmitten der Nacht, wie der Fluß spricht, gelassen oder lustlos, und auch ihr Rauschen ist ruhig oder geduldig oder schwach – sei die Frage, ob man lebendig oder tot ist, etwas rein Zufälliges und Sekundäres. Vielleicht dachte er wie sein und mein Landsmann, daß ›die Zeit die einzige Dimension ist, in der die Lebenden und die Toten miteinander sprechen und kommunizieren können, die einzige, die ihnen gemeinsam ist‹, und daß deshalb alle Zeit gleichgültig und gemeinsam ist, zwangsläufig (in ihr sind wir alle gewesen und werden in ihr sein), und die Tatsache, daß man in ihr körperlich zusammentrifft, erscheint als bloßes Beiwerk, so wie die Frage, ob man früh oder spät zu einer Verabredung kommt. Ich sah seinen charakteristischen großen Mund, mit klarem Strich gezeichnet und irgendwie schwammig, er erinnerte ein wenig an Tupras, nur weniger feucht und ungezähmt. Rico hielt die Lippen geschlossen, fast zusammengepreßt, nicht aus seinem Munde stammten die primitiven Rhythmen, sondern aus dem von Rafita, der sich anscheinend nicht nur nachts und in idiotischen In-Lokalen als schwarzer Rapper fühlte, sondern auch bei Tageslicht und sogar in seinem Büro in der Botschaft als weißer Hip-Hopper, wenngleich er jetzt konventionell gekleidet war und weder ein steifes, überdimensioniertes Jackett noch den Ohrring einer Wahrsagerin noch ein Pseudo-Torerohaarnetz oder einen Hut trug, eine bandana, eine phrygische Mütze oder sonst etwas, das seinen hohlen Kopf bedeckt hätte. Er beendete seinen monotonen Sprechgesang und wandte sich befriedigt an Francisco Rico, diesen Mann von großer Gelehrsamkeit:
    »Na, wie finden Sie das, Professor?
    Der Professor hatte eine große Brille auf, vermutlich mit dicken, entspiegelten Gläsern, doch auch so konnte ich noch einen eisigen Blick erkennen, einen Ausdruck von mißbilligendem Erstaunen, als ob er nicht so sehr verärgert wäre, sondern die Ambitionen oder Zumutungen De la Garzas einfach nicht fassen könnte.
    »Das berührt mich nicht nicht. Ps . Tah . Nicht annähernd.« So sagte er das, › Ps ‹. Es kam ihm nicht einmal das gebräuchlichere ›Pse‹ über die Lippen, das ›mittelprächtig‹ bedeutet oder ›so lala‹

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