Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
ja in der Regel entschlossen und bewußt; jedenfalls beklagte er nichts, was mit der Arbeit zu tun hatte), während der Tracht Prügel und danach und ganz gewiß davor, sooft Reresbys Landsknechtsschwert sich hob und senkte. Wie konnte De la Garza daraus nichts gelernt haben, wie konnte er nicht zurückhaltender geworden sein? Wie konnte er etwas schreiben, in dem es um Gewalt ging, und wenn es noch so inkohärent und grotesk war, nachdem er sie selbst durch uns in brutalster Weise erlitten hatte? Wie konnte er das Wort ›Scheißhaus‹ verwenden, nachdem er kurz davor gewesen war, im blauen Wasser eines solchen ertränkt zu werden? ›Vielleicht deshalb‹, dachte ich und sagte mir auf jenem Korridor, noch unbemerkt, unsichtbar, ein voyeur und ein eavesdropper: ›Vielleicht wird er das Geschehene nicht los, und das ist seine einzige (idiotische) Möglichkeit, sich schadlos zu halten oder es zu überwinden: sich einzureden, er selbst könnte Reresby sein (das auf seine kindische und unbeholfene Art zu glauben) und jemandem ein paar Kugeln in den Leib jagen oder wenigstens einen Mordsschrecken, oder ihn vergiften oder ihm eins zwischen die Hörner geben, oder er könnte all dies womöglich keinem anderen als Tupra zufügen, vor dem er in Angst und Schrecken leben muß, er betet wohl jeden Tag, ihm nicht wieder zu begegnen, in dieser Stadt, die sie teilen. Phantasieren kostet nichts, das wissen wir schon von klein auf; später wissen wir es immer noch, aber wir lernen, es nur noch selten umzusetzen, mit den Jahren immer seltener, da wir merken, daß es uns nicht weiterbringt.‹ Er tat mir ein bißchen leid, sofort tat er mir wieder ein bißchen leid, und das dämpfte meine Empörung, aber natürlich nicht die des erlauchten Professors, der weder meine Gedanken hatte, noch Rafita etwas schuldig war: »Basta!« schrie er, ohne laut zu werden, den Eindruck des Schreiens vermittelte er durch seine volle Stimme, sein Ton war in etwa der, mit dem die Kellner in Madrider Bars Bestellungen an die Küche oder die Barleute weitergeben, über oder unter dem Lärm der Gäste hinweg. »Bist du nicht bei Trost, De la Garza, oder was sind das für Grillen? Glaubst du, ich könnte daran interessiert sein, diese Aneinanderreihung von Torheiten zu hören, diese« – er zögerte – »Tam-tam-erei, mit der du mich da überschüttest? Müll ist das. Reg . Ganz einfach eine Pein.« Das waren alte Wörter, oder hat sich der allgemeine Wortschatz der Spanier schon auf so wenig reduziert, daß einem alle alt vorkommen: ›Grillen‹, ›Litanei‹, ›Torheiten‹, ›Pein‹, auch der Ausdruck ›nicht bei Trost sein‹, ich war froh festzustellen, daß ich nicht der einzige war, der sie gebrauchte, einen Moment lang fühlte ich mich Rico ebenbürtig, was mir wiederum schmeichelte, mehr oder weniger unverhofft (er ist nun einmal ein bedeutender Mann). Seine neue Lautmalerei ›Reg‹ fand ich genauso transparent und treffend wie die vorherigen, sie stand für Ekel moralischer wie ästhetischer Natur.
Der Professor regte sich nicht von der Stelle, er stand nicht auf, zweifellos wußte er seinen Körper zu beherrschen, ihm genügte es, der Zunge freien Lauf zu lassen, für kurze Zeit. Er warf lediglich seine Kippe in eine Dose mit Bleistiften, die er gerade in Reichweite hatte, und fasste sich an den Brillensteg, erst mit dem Zeige–, dann mit dem Ringfinger, als wollte er sichergehen, daß die Brille nicht zusammen mit seinem Ärger in den Raum geschossen war. De la Garza stand da wie angewurzelt, die Knie vorübergehend gebeugt, eine wenig stolze Haltung nicht weit von einer Hocke. Aber er richtete sich gleich wieder auf. Und da er vermutlich nichts getrunken hatte, geriet er doch ein wenig in Aufregung.
»Ach, entschuldigen Sie, Professor, also, ich verstehe das nicht, ich hatte irgendwo gelesen, daß Sie sich für Hip-Hop interessieren, es hieß, Sie würden eine Verbindung zu gewissen althergebrachten poetischen Formen sehen, zu Blindenliedern Volksbüchern, Liedsammlungen, Romanceros, all diesen Dingen …«
»Du verwechselst mich mit Villena«, schob Rico dazwischen, mit Bezug auf einen recht bekannten, überaus aufmerksamen spanischen Dichter (aufmerksam auf alles, was sich tut).
Er sagte das nicht beleidigt, nur professoral und berichtigend.
»… und Sie würden durchaus mittelalterliche Züge darin finden, das heißt …«
Und da geschah es. Er unterbrach sich, weil es geschah. Während er heftig den Kopf schüttelte,
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