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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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Meerestosen traf die jähe Salve wie ein Schlag … Fürs edle Herz ein schlechter Rat, den Bösen zu vertrauen! … Auf allen Schiffen dort im Meer hat laut die Mannschaft ihn beklagt, die schönsten Frauen trafen ein, beweinten ihn in tiefem Gram hoch oben im Zitronenhain.‹ Die Romanze über Torrijos blieb für mich auf immer mit jener Serie von unheilvollen Szenen verbunden). Und mir fiel ein – ich hatte es vergessen, so lange plauderte ich schon nicht mehr mit Guillermo und Marina –, daß fast alles, was einem widerfährt, sich fast ohne Abwandlungen in eine Kindergeschichte verwandeln läßt. Spannende oder finstere Geschichten, solche, die sie schützen und vorbereiten und die sie rüsten.
    Als sie dann im Bett lagen, hatte ich zum ersten Mal seit vielen Monaten die Gewißheit, daß sie gesund und wohlbehalten waren; die Zeit verdichtete sich abermals oder preßte sich noch mehr zusammen, und für einige Sekunden hatte ich das Gefühl, nie von ihrer Seite gewichen zu sein und weder Tupra noch Pérez Nuix, Mulryan noch Rendel je kennengelernt zu haben; als ich nach kurzer Zeit auf Zehenspitzen in ihre Zimmer ging, um das Licht auszuschalten und mich zu vergewissern, war dem Jungen sein Tim-und-Struppi -Band, in dem er wohl noch beim Einschlafen geblättert hatte, sanft zu Boden geglitten, und das Mädchen umarmte den Teddybären, dem eine weitere Nacht bevorstand, in der er in der winzigen Umarmung ihrer schlichten Träume ersticken würde. Wenig oder nichts hatte sich in meiner Abwesenheit verändert. Nur Luisa, die nicht da war, und ich war zwar da, hatte sie aber immer noch nicht gesehen. Statt ihrer eine diskrete Babysitterin, sie hatte sich zurückgenommen, die Begegnung nicht gestört, sie hatte mir nur geholfen, als es für die Kinder Zeit geworden war, zu Abend zu essen und ins Bett zu gehen. Sie hatte sich als Mercedes vorgestellt, obwohl sie Polin war: vielleicht ein angenommener Name, um sich rascher zu hispanisieren. Sie sprach unsere Sprache gut, sie hatte sie in den drei Jahren ihres Aufenthalts gelernt, davor, sagte sie, keinen Schimmer, sie hatte einen Freund aus Madrid, sie wollte heiraten und bleiben (ich sah, daß sie ein kleines Kreuz um den Hals trug), all das erzählte sie mir, während ich herumwirtschaftete. ›Warte ja nicht auf mich‹, hatte Luisa mich gewarnt, ein wenig hatte es für mich nach Warnung geklungen. Es war ihr gutes Recht, mich nicht dort zu wollen, während sie nicht da war, ich hätte herumschnüffeln können, Abweichungen feststellen und ihre Post lesen, ihre Schränke öffnen und ihre Kleidung beschnuppern, in ihr Badezimmer gehen und an ihrem Shampoo und ihrem Parfüm riechen, nachsehen, ob sie noch mein Foto im Schlafzimmer hatte (das war wohl eher unwahrscheinlich), im Wohnzimmer standen einige wenige Familienfotos, auf denen auch ich zu sehen war, wir vier zusammen, vermutlich trug sie dafür Sorge, daß die Kinder mich nicht völlig vergaßen, mein Gesicht wenigstens.
    »Kommst du häufig?« fragte ich Mercedes. »Die Kinder scheinen dich gut zu kennen, und sie hören auf dich.« Die Frage war nicht ganz frei von Hintergedanken.
    »Ja, manchmal. Nicht sehr oft. Luisa geht abends nicht so oft aus. In letzter Zeit öfter. Eher nachmittags.« Und dann verriet sie sie, bestimmt unabsichtlich, aber direkt und übergangslos. Daß die Leute reden, reicht bereits aus, damit sie zu viel erzählen, auch wenn sie gar nichts erzählen; sobald sie den Mund aufmachen, geben sie Informationen weiter, ohne zu merken, daß es welche sind, und ohne darum gebeten worden zu sein, und so verraten sie jeden, ohne es beabsichtigt zu haben, oder geben sich selber preis, und wenn die Worte erst einmal dahintreiben, ist es zu spät: ›Ach, das habe ich nicht bemerkt, wie dumm, das wollte ich nicht.‹ »Heute hat sie Glück gehabt, daß ich zu Hause war. Normalerweise ruft sie nicht so kurzfristig an, immer mindestens einen Tag vorher. Ich hätte ja schon einen Termin bei anderen Leuten haben können, ich gehe zu vier verschiedenen Familien, um auf die Kinder aufzupassen. Vier außer Luisa.«
    »Aha, das war ja dann wirklich ein Glück. Wie kurz vorher hat sie dir denn Bescheid gesagt?«
    »Ganz kurz. Gerade so, daß ich noch rechtzeitig da sein konnte. Ich muß den Bus und die U-Bahn nehmen, um herzukommen, aber sie hat mir gesagt, heute zahlt sie mir ein Taxi. Bloß kommen bei uns draußen nicht so viele vorbei, deshalb hat’s gedauert. ›Komm, so schnell du kannst‹, hat sie

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