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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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gesagt, ›mir ist hier was dazwischengekommen.‹ Sie hat mir Bescheid gegeben, daß Sie kommen, damit ich Ihnen aufmache. Aber ich hätte durchs Guckloch geschaut und Ihnen auch so aufgemacht, ich kenne Sie ja von den Fotos.« Sie zeigte schüchtern auf die Bilder, als wäre es ihr peinlich, so genau hingesehen zu haben.
    Ich hatte mit meinem Verdacht also ins Schwarze getroffen, all das Üben in dem namenlosen Gebäude war wohl nicht ganz umsonst gewesen. Luisa hatte nicht vorgehabt auszugehen, sie hatte es nur getan, um mich nicht zu sehen. Sie hatte nicht so weit gehen wollen, mich mein Wiedersehen mit den Kindern vertagen zu lassen, deshalb war es ihr noch schwerer gefallen, sich eine glaubhafte Ausrede auszudenken (›nach so langer Zeit‹, hatte sie gesagt, in dem Bewußtsein, daß es tatsächlich lange her war). Wohin war sie wohl gegangen, es ist gar nicht so einfach, ein paar Stunden außer Hauses zu verbringen, wenn man zum Ende des Tages hin nichts vorhat, im Zwielicht. Sie konnte ins nächstbeste Kino gegangen sein oder zu einem Schaufensterbummel in die Innenstadt, was sie allerdings ziemlich langweilte; Zuflucht bei ihrem Liebhaber gesucht haben oder zu einer Freundin gegangen sein oder zu ihrer Schwester. Sie mußte genug Zeit herumbringen, bis ich weg war, bis ich ihrer Einschätzung nach das Haus verlassen, das Feld geräumt hätte, und sicher wußte sie, daß es mir schwerfallen würde, mich loszureißen, ich fühlte mich dort sehr wohl, alles war so vertraut.
    Es war schon nach elf, die späteste Zubettgehzeit für die Kinder bei außergewöhnlichen Anlässen, sie hatten mit mir mehr als genug Ablenkung gehabt, aber ich hatte ihnen auch die Müdigkeit angemerkt, es war nicht allzu schwer gewesen, sie dazu zu überreden, daß sie nicht noch lange nach der üblichen Zeit herumturnten, und die Polin war zu gleichen Teilen überzeugend und streng. Luisa würde nicht auf sich warten lassen, nicht lange jedenfalls. Wenn ich eine halbe Stunde aushielt, war es mehr als wahrscheinlich, daß wir uns begegneten. Sie wenigstens zu begrüßen, ihr einen Kuß auf die Wange zu geben, vielleicht eine Umarmung, wenn sie entsprechend reagierte, ihre Stimme zu hören, aber mit Bild, die Veränderungen an ihr wahrzunehmen, ihr leichtes Welken oder ihre heller strahlende Schönheit, da sie mich jetzt fern und einen anderen nahe hatte, der ihr mehr schmeichelte; ihr ins Gesicht zu sehen. Mehr wollte ich nicht, aber vor so wenig verspürte ich Ungeduld, eine Ungeduld, die kaum zu ertragen war. Nun kam auch noch Unsicherheit hinzu, Spannung, vielleicht eine Spur Bitterkeit, oder war es mein gekränkter Stolz: Sie teilte nicht einmal meine grundlegenden Neugierden, wie war das möglich nach so vielen Jahren, in denen der eine für den anderen der wesentliche Antrieb gewesen war, es erschien mir als unannehmbarer Affront, daß davon nichts übriggeblieben sein sollte, daß sie bereit war, auf einen anderen Tag zu warten, und nicht notwendigerweise auf morgen – niemand konnte mir garantieren, daß sie mir nicht auch morgen und übermorgen und am dritten Tag aus dem Weg gehen würde, unter verschiedenen Vorwänden, ja, während meines gesamten Aufenthalts; daß sie mich nicht die nächsten Male auffordern würde, die Kinder am Hauseingang abzuholen und draußen etwas mit ihnen zu unternehmen, oder immer außer Haus sein würde, wenn ich käme, oder die beiden zu meinem Vater bringen würde, damit ich mich dort mit ihnen träfe und sie nebenbei auch gleich den Großvater sehen könnten. Ja, es war verletzend, daß sie so gar keine Eile hatte, mich wiederzuerkennen, in dem veränderten Mann, dem abwesenden Mann, dem einsamen Mann, dem Fremden, der wiederkehrt; daß sie nicht wünschte, ohne Aufschub zu entdecken, wie ich ohne sie war oder in wen ich mich verwandelt hatte. (›Was für ein Unglück, daß ich deinen Namen weiß, obwohl ich dein Gesicht morgen schon nicht mehr kenne‹, zitierte oder erinnerte ich für mich.)
    »Es macht dir doch nichts aus, wenn ich bleibe, bis Luisa wiederkommt?« fragte ich die falsche Mercedes. »Ich würde ihr gerne hallo sagen, und wenn es nur kurz ist. Es wird nicht lange dauern, bis sie zurückkommt, nehme ich an.« – ›Was für eine schmerzliche Ironie‹, dachte ich, ›da bitte ich eine junge polnische Babysitterin, die ich nie im Leben gesehen habe, um Erlaubnis, ein wenig länger in meiner Wohnung oder in der Wohnung verweilen zu dürfen, die einmal meine war, die ich zusammen

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