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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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mit Luisa ausgesucht und eingerichtet und möbliert und dekoriert habe, die wir lange Zeit zusammen bewohnt haben und die ich indirekt noch immer bezahle. Man verläßt einen Ort und kann nie wieder zurück, nicht auf dieselbe Weise, jede Lücke, die wir hinterlassen, wird auf der Stelle besetzt, oder unsere Sachen werden weggeworfen oder ausrangiert, und wenn man wieder auftaucht, dann nur noch als Gespenst, ohne Körperlichkeit, ohne Rechte, ohne Schlüssel, ohne Ansprüche und ohne Zukunft. Nichts bleibt einem als Vergangenheit, und deshalb kann man uns verscheuchen.‹
    »Luisa hat mir gesagt, ich soll bleiben, bis sie wieder da ist«, erwiderte sie. »Sie zahlt mir auch ein Taxi für den Rückweg, wenn es zu spät wird. Damit ich nicht auf die ›Eule‹ warten muß, heute fahren nicht viele, ist ja kein Wochenende.« Das Wort kam mir in dem Zusammenhang bekannt vor, das waren Nachtbusse oder U-Bahnen, glaubte ich, ich hatte vergessen, daß es sie gab. »Es ist nicht nötig, daß Sie hier auf sie warten, überhaupt nicht nötig«, fügte sie hinzu. »Vielleicht dauert es doch noch länger. Ich werde da sein und mich um alles kümmern, wenn die Kinder wach werden oder etwas brauchen.«
    Sie war diskret, aber ihre Sätze wirkten auf mich abweisend, fast wie Befehle. Als ob Luisa ihr am Telefon Instruktionen erteilt hätte und sie mir in Wirklichkeit sagen wollte: ›Nein, du ziehst jetzt besser Leine, Luisa will dich hier nämlich nicht antreffen. Sie findet es schon nicht toll, daß du in ihrer Abwesenheit da bist, ohne Kontrolle oder Überwachung, ich habe nicht genug Autorität, ich kann das nicht erfüllen; sie traut dir nicht mehr, schon seit langem nicht.‹ Oder auch: ›Sie hat dich gelöscht, in all diesen Monaten hat sie deinen Fleck gesäubert und kämpft jetzt nur noch mit deinem Rand, dem einzigen, was ihr noch widersteht. Sie will nicht schon wieder von dir durchtränkt werden, ihre Arbeit zunichte gemacht sehen. Also sei so gut und geh jetzt, sonst wirst du als Eindringling betrachtet.‹ Und diese Deutungen waren es, die mich schließlich ganz zum Bleiben bewogen.
    »Ich warte trotzdem auf sie«, sagte ich und nahm auf dem Sofa Platz, nachdem ich ein Buch aus dem Regal genommen hatte. Sie hatten sich nicht verändert, die Bände standen noch in derselben Anordnung da, in der ich sie vor einiger Zeit hinterlassen hatte, meine gesamte Bibliothek war noch da, unsere meine ich, wir waren nicht dazu übergegangen, sie zu verteilen, und ich hatte keinen Ort, an den ich die meinen hätte mitnehmen können, in England war alles provisorisch, außerdem fehlte es mir an Platz, und wozu hätte ich mich mit Umzügen herumschlagen sollen, wenn ich nicht wußte, wo ich leben würde, mittel- oder langfristig. Mercedes würde es nicht wagen, sich zu widersetzen, sie würde es nicht wagen, mir die Tür zu weisen, wenn ich mich hinsetzte und las und schwieg, ohne ihr weitere Fragen zu stellen oder sie zu behelligen oder auszuhorchen. Letzteres hatte sie nicht bemerkt oder vielleicht erst, als es schon zu spät war. »Ich habe es gar nicht eilig«, fügte ich hinzu, »ich bin gerade erst aus London angekommen. So kann ich ihr gute Nacht sagen. Und zwar in Madrid und ganz persönlich.«


    I ch wartete und wartete, las schweigend, hörte kleine Geräusche, die mir vertraut waren oder die ich nach kurzer Zeit wiedererkannte: der Kühlschrank mit seinen wechselnden Launen, hin und wieder ferne Schritte in der Wohnung über uns und ein Geräusch wie von Schubladen, die geöffnet und geschlossen werden, die Nachbarn von oben waren nicht umgezogen und hatten noch dieselben nächtlichen Gewohnheiten; auch die leisen Noten des Violoncellos drangen an mein Ohr, der Junge, der mit seiner verwitweten Mutter auf der anderen Seite des Stockwerks lebte, übte immer vor dem Schlafengehen, gut möglich, daß er schon fast ein Teenager war, er beherrschte sein Instrument inzwischen um einiges besser, soweit ich das hören konnte, kam es seltener vor, daß er hängenblieb oder sich unterbrach, wohlerzogen, wie er war, versuchte der Junge, nicht zu laut zu spielen, schon als kleines Kind hatte er immer höflich und ungekünstelt guten Tag gesagt, ich lauschte, um festzustellen, ob er etwas von Purcell oder Dowland spielte, aber vergeblich, die Töne drangen nur verhalten an mein Ohr, und mein musikalisches Gedächtnis war aus der Übung gekommen, in London hörte ich zu Hause Schallplatten und ging sporadisch ins Konzert, aber so

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