Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
herausfordernden und eingebildeten Schwarzen oder diese schrecklichen Rastazöpfchen.«
Es amüsierte mich, daß sie die Strümpfe verabscheute. Dagegen hatte ich keine Ahnung, was sie mit dem ›Kopfschmuck einer herausfordernden und eingebildeten Schwarzen‹ meinte, und es machte mich durchaus neugierig. Aber ich konnte mich nicht aufhalten, meine andere Neugier drängte.
»So so. Und was davon trug der Typ? Oder etwa alles gleichzeitig, den Pulli, den Stock, den Hut?«
»Er hatte einen Pferdeschwanz. Federico ist das auch deshalb aufgefallen, weil er nicht mehr jung war, ungefähr so alt wie du. Wie wir.«
»Na ja, heutzutage ist das in bestimmten Kreisen keine Seltenheit. Gestandene Männer in den besten Jahren, die so herumlaufen und sich sehr freibeuterisch oder banditenhaft fühlen; oder sie tragen einen Kinnbart, und dann halten sie sich für Kardinal Richelieu oder einen Psychiater oder einen weisen Lehrer im Film, unter Universitätsprofessoren grassiert das wie eine Epidemie; oder Schnurrbart und Fliege, da halten sie sich dann für die reinsten Musketiere. Schmierenkomödianten alle miteinander.« Bei meiner Schwester konnte ich es mir leisten, mich so eigenwillig, übertrieben und schrullig zu geben, wie sie selbst es oft war, in unserer Familie gab es einen humoristischen Zug, den wir alle hatten, bis auf meinen Vater, dem wir nicht besonders glichen, weder in punkto Ausgeglichenheit noch Gelassenheit. Ich zum Beispiel pflege auch jedem zu mißtrauen, der irgendeine Art von mönchsartigen Sandalen trägt, für mich sind das alles Betrüger und Verräter; ebenso jedem, der sich in Bermudas oder kurzen Hosen zeigt (ich meine jedem Mann), was dazu führt, daß ich im Sommer schon fast keinem männlichen Wesen mehr trauen kann, zumal in Spanien, dem Paradies der schimpflichen und schamlosen Aufmachungen. Vielleicht hatten mir diese zu Normen erhobenen Intuitionen, diese drastischen Vorurteile oder Oberflächlichkeiten, die die Leute in meinen Augen charakterisierten, ohne weitere Grundlage als die meiner persönlichen, beschränkten Lebenserfahrung (was im übrigen für jede gilt), zumindest bei Tupra geholfen, in meiner nicht mehr so neuen Arbeit, und sei es nur aufgrund des Nachdrucks, mit dem ich mich manchmal – nachdem ich einmal das Vertrauen dazu erworben hatte, laut zu urteilen, und die Verantwortungslosigkeit, deren jede Äußerung einer Bewertung bedarf – über diejenigen ausließ, die Gegenstand der Deutung und Spekulation waren. Im übrigen haben diese Verallgemeinerungen durchaus ihren Grund, auch wenn er nur in der Sphäre der Wahrnehmungen liegen mag: In jedem Menschen gibt es Echos von anderen, über die wir sie nicht hinweggehen können, es kommt zu dem, was ich ›Affinitäten‹ zwischen ganz unterschiedlichen oder gar gegensätzlichen Personen genannt habe, die uns gelegentlich dazu bringen, Schatten von äußerer Ähnlichkeit zu sehen oder zu erfassen, die am Anfang unsinnig erscheinen. ›Zwischen dieser schönen Frau und meinem Großvater gibt es objektiv keine Gemeinsamkeit‹, denken wir, ›und doch ruft sie ihn mir ins Gedächtnis und erinnert mich an ihn‹, und in solchen Fällen neigen wir dazu, ihr auch den Charakter und die Reaktionen jenes despotischen Vorfahren zuzuschreiben, seine Erzürnbarkeit und seinen skrupellosen Opportunismus. Und das Erstaunliche ist, daß wir häufig richtig liegen – sofern wir lange genug Zeit haben, es zu überprüfen –, als ob das Leben voller unerklärlicher Verwandtschaften ohne Blutsbande wäre oder als ob jedes Lebewesen, das existiert und den Fuß auf die Erde setzt oder die Welt durchquert, in der Luft unsichtbare und ungreifbare Partikeln seiner Persönlichkeit und lose Fäden seiner Handlungen und schwache Resonanzen seiner Worte hinterließe, die sich dann zufällig auf andere legen wie Schnee auf die Schultern, und so setzen sie sich auf unbestimmte Zeit von Generation zu Generation fort, wie ein Fluch oder eine Legende oder wie eine schmerzliche fremde Erinnerung, und veranlassen so die endlose und erschöpfende ewige Kombination derselben Elemente. »Und was hat er dir noch gesagt? Wie war der Typ, abgesehen von dem Pferdeschwanz? Wie war er gekleidet? Hat sie ihn Federico nicht vorgestellt? Wie hieß er? Was macht er im Leben?«
»Was weiß ich, keine Ahnung. Er hat nicht weiter auf ihn geachtet, er hat ihn kaum gesehen. Sie sind sich kurz über den Weg gelaufen, und Luisa und er haben sich gegrüßt, ›Hallo,
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