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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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fernzusehen, ich glaube, er hörte eher fern. Und doch erweckte er den gegenteiligen Eindruck, mit seinem blauen, immer blasseren Blick, der auf meinem Gesicht haftete, als wollte er mich durchdringen und dabei mehr über mich erfahren, als ich es tat. »Ich glaube, du solltest von Luisa ablassen, Jacobo. Du hast das noch nicht getan, auch wenn du respektvoll und wie ein Gentleman weggegangen bist, oder wie du das nennen magst. Du hast es nicht getan. Aber dir bleibt keine andere Wahl, ob du dazu fähig bist oder nicht. Laß sie ganz frei atmen, laß ihr Luft, stell dich ihr nicht in den Weg. Überlaß alle Initiative ihr. Nichts liegt in deiner Hand. Wenn sie eines Tages begreift, daß es ihr ohne dich nicht gutgeht, wenn sie entdeckt, daß sie dich vermißt bis zum Unglücklichsein, dann wird sie, wie ich sie kenne, nicht zögern, es dir zu sagen und dich zu bitten, daß du zurückkommst. Einlenken kann sie, und sie ist nicht überheblich. Solange sie das nicht tut, liegt es daran, daß sie nicht will, und das wird sich nicht dadurch ändern, daß du etwas tust oder sagst oder dich irgendwie verhältst, hier oder aus der Ferne; für sie bist du durchsichtig, so wie auch sie es für dich sein wird, sobald du bereit bist, wirklich zu sehen und dir einzugestehen, was du siehst. Daß das nicht der Fall ist, steht auf einem anderen Blatt, und ich verstehe das. Aber frag mich nicht nach Dingen, die ich nicht wissen kann und du dagegen schon: Für mich ist sie nicht durchsichtig.« Und ohne Überleitung fügte er hinzu: »Hast du denn eine Freundin in London?«
    Jetzt war ich es, der nachdenklich verharrte, aber nicht aus einem Zweifel heraus. Nein, ich hatte wirklich nicht annähernd so etwas wie eine Freundin; es hatte nur flüchtige Begegnungen gegeben, ohne Dauer oder Enthusiasmus, vor allem in den Anfangsmonaten des Seßhaftwerdens und Wiedererkennens und Herantastens: Von den drei Frauen, die in jener Phase bei mir übernachtet hatten, war nur eine mit meinem Einverständnis wiedergekommen (eine andere hatte es erfolglos versucht), und dieses Einverständnis war bald zur Neige gegangen, beim dritten oder vierten Mal. Später war noch eine Frau mal dagewesen, ohne Folgen. Dann hatte die junge Pérez Nuix einen kleinen Spaziergang durch meine Phantasie unternommen, das konnte ich nicht leugnen, und nach unserer zusammen verbrachten Nacht tat sie das manchmal noch immer, aber diese merkwürdige Verschränkung war von den vagen Konzepten des erwiesenen Gefallens und der Entlohnung eingefärbt worden, welche die Phantasie sehr leicht zum Erlöschen bringen; und obwohl Geheimes und Verschwiegenes sie entzünden, genügen sie vielleicht nicht, um diesen anderen Faktoren entgegenzuwirken, die schwerer wiegen oder stärker sind.
    »Nein«, antwortete ich. »Es gibt nur vereinzelte Abenteuer, und in meinem Alter sind die nicht mehr so anregend, ja fast nicht einmal unterhaltsam. Oder bloß für Menschen, die sich schnell etwas einbilden. Zu denen zähle ich nicht.«
    Mein Vater lächelte, manchmal amüsierten ihn meine Äußerungen.
    »Nein, möglicherweise nicht mehr. Früher schon, als du jünger warst, übertreibe es also nicht mit deiner Abgeklärtheit. Luisa zählt ebenfalls nicht dazu, da bin ich sicher. Ich weiß nicht, ob sie jemanden sieht. Natürlich redet sie mit mir nicht über diese Dinge, obwohl sie es irgendwann doch tun wird, wenn ich noch lange genug lebe. Sie hat Vertrauen zu mir, und ich glaube, daß sie es mir erzählen wird, wenn sich etwas Ernstes ergibt. Ich kann allerdings sehen, daß sie genau das nicht ausschließt, ja, sie hat es sogar eilig, daß es dazu kommt. Sie hat es eilig, wieder auf Kurs zu kommen oder ihr Leben neu zu ordnen oder wie man das halt so sagt, du weißt schon. Ich meine, sie scheint sich noch keine Sorgen um ihre Attraktivität zu machen, das ist es nicht, auch wenn ihr beide nicht mehr die Jüngsten seid. Eher befürchtet sie, sie könnte ›die entscheidende Beziehung‹ zu spät beginnen. Offensichtlich hat sie dich dafür gehalten, für entscheidend, viele Jahre lang, und aus der Erkenntnis, daß du es nicht warst, hat sie nicht etwa den Schluß gezogen, es gebe so etwas nicht, sondern sie glaubt, ihr hättet euch getäuscht und sie habe wertvolle Zeit verloren, und zwar sehr viel davon. So viel, daß sie sich jetzt beeilen muß, um dieses Endgültige zu finden, wovon sie sich vorerst nicht verabschiedet hat, sie hatte noch keine Zeit, ihre Erwartungen neu zu justieren oder

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