Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
Schwarz gehüllt, in die Schwärze eines diabolischen tödlichen Fluchs und eines von Strafe gekrönten sündigen Lebens, einer düsteren Straße in den Sümpfen und eines schönen Kopfes, der bis ans Ende aller Zeiten von ihrem wollüstigen Körper getrennt war. Und wenn sie nicht auf diese Art gestorben wäre, mit all diesen Zuschreibungen, die die Phantasie des Pöbels befeuern, würde sich heute kaum jemand an sie erinnern. An Kennedy natürlich schon, selbst wenn er in Dallas nur einen Infarkt erlitten hätte, aber du kannst sicher sein, daß man sich seiner dann unendlich viel weniger und mit eher zurückhaltenden Gefühlen erinnern würde, wenn sein Name nicht augenblicklich mit den Todesschüssen und mit vertrackten, niemals geklärten Verschwörungen in Verbindung gebracht würde. Darin besteht der K-M-Komplex, in der Furcht, für immer von der Form des Endes geprägt und verfälscht zu sein, und in der Angst, daß das ganze Leben nur als Weg dorthin erscheinen könnte, als Vorwand, um zu einem schrillen Tod zu gelangen, der auf ewig unser Abbild sein wird. Und paß auf, dieser Gefahr unterliegen wir alle, auch wenn wir keine öffentlichen Personen, sondern unbekannte, anonyme und zweitrangige Individuen sind. Jeder wohnt seiner Erzählung bei, Jack. Du der deinen und ich der meinen.«
»Aber es ist nicht immer Furcht, was man davor empfindet«, sagte ich. »Manche wünschen und suchen sich ein solches bühnenreifes, spektakuläres Ende, selbst mit nur verbalen Mitteln, wenn sie keine anderen zur Verfügung haben. Du weißt nicht, wie viele Schriftsteller sich bemüht haben, einen denkwürdigen letzten Satz zu formulieren. Obwohl es schwierig ist, zu berechnen, welcher wirklich der letzte sein wird, und mehr als einer hat ihn verschwendet, indem er ihn überstürzt und zur Unzeit geäußert hat. Später dann ist ihm nichts mehr eingefallen, oder er hat im letzten Augenblick nur dummes Geschwätz von sich gegeben.«
»O doch, aber ja. Es ist immer Furcht. Wer dieses plakative Ende anstrebt, tut das deshalb, weil er fürchtet, nicht auf der Höhe seines Rufs oder seiner Größe zu sein, ob sie ihm nun andere zugesprochen haben oder er sich selbst, das bleibt sich gleich. Wer erzählerischen Horror empfindet, wie du das nennst und in Dick Dearlove siehst, der fürchtet, daß seine Person beschädigt werden könnte oder das, was er sich immer erzählt hat, genauso sehr wie derjenige, der ein brillantes und sogar theatralisches und sogar exzentrisches Ende für sich vorbereitet, das hängt vom Charakter des einzelnen ab und von der Art des Flecks auf dem Papier, den manche mit einem Schnörkel ihres Namenszugs verwechseln werden, aber der Tod ist immer ein Fleck. Denn es ist nicht das gleiche, ob man jemanden umbringt oder Selbstmord begeht oder von jemandem umgebracht wird. Ob man Henker ist oder ein Verzweifelter oder ein Opfer, und ob heroisches oder dummes Opfer. So schlimm es auch ist, vorzeitig zu sterben und außerdem auf so brutale Weise, der lebenden Jayne Mansfield wäre ihre Legende als Tote nicht verachtenswert erschienen, obwohl es ihr bestimmt lieber gewesen wäre, bei jener Fahrt keine Perücke getragen zu haben. Und ich glaube nicht, daß euer Lorca oder dieser rebellische, provokante italienische Cineast Pasolini von einem ästhetischen oder, wenn du willst, ebenfalls erzählerischen Standpunkt aus mit der Art Schlußstrich, die ihnen zuteil wurde, ganz unzufrieden gewesen wären. Sie waren Künstler, sie waren leicht exhibitionistisch, und die Erinnerung an sie hat von ihrem ungerechten und gewaltsamen Tod profitiert, der fast etwas von einem Martyrium hat, nicht wahr? Ich meine, für die Holzköpfe. Du und ich, wir wissen, daß keiner der beiden sich bewußt für etwas geopfert hat, sie hatten einfach nur Pech.«
Tupra hatte zweimal das Wort ›Pöbel‹ benutzt, und jetzt sprach er von ›Holzköpfen‹ (aber ich weiß nicht mehr, ob er › boors ‹ oder ›yokels‹ sagte). ›Er muß den Leuten keine große Achtung entgegenbringen‹, dachte ich, ›sonst würden ihm diese Vokabeln nicht so leicht und zwanglos und mit natürlicher Verachtung über die Lippen kommen, ohne Nachdruck. Obwohl sich diese auch auf gebildete und dünkelhafte Menschen erstreckt, von Biographen bis zu Journalisten, Soziologen, Literaten und Historikern, auf all diejenigen, die diese beiden berühmten Mordopfer, die durch ihre Ermordung noch berühmter sind, tatsächlich als Märtyrer einer politischen oder sogar
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