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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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Optionen, die ihm offenstanden. Es gab bei ihm jedenfalls etwas Dissonantes: zu seiner Arbeit, zu seiner Gestik, zu seiner Umgebung, seinem Akzent, sogar zu seinem eigenen Haus, das so sehr das eines wohlhabenden Engländers war, so sehr aus dem Lehrbuch oder aus einem teuren Film oder aus der Illustration eines Märchens stammte. Vielleicht waren es die üppigen Locken auf dem gewölbten Schädel oder das augenscheinlich gefärbte kleine Gekräusel an den Schläfen, vielleicht der weiche, wie konsistenzlose Mund, ein noch nicht hart gewordener Kaugummi. Bestimmt erschien er vielen Leuten als attraktiv, obwohl er auch etwas Abstoßendes an sich hatte, ich wußte es nie ganz zu definieren, genau zu isolieren, zu bezeichnen, möglicherweise hing es nicht von einem einzelnen Merkmal ab und war eher das Ganze. Vielleicht sah nur ich es, die Frauen erfaßten es wohl nicht. Nicht einmal scharfsinnige wie Pérez Nuix, die es gewohnt war, alles wahrzunehmen und zu erahnen, und mit der er sicher geschlafen hatte. Das hatten wir dann also gemeinsam, Tupra und ich oder ich und Reresby. Oder Ure oder Dundas.
    »Und weil das so ist, erlaubst du dir, einem armen, harmlosen Idioten eine Tracht Prügel zu verabreichen und ihn zu Tode zu erschrecken, noch dazu mit meiner Hilfe; wenn ich gewußt hätte, was du mit ihm vorhattest. Für nichts und wieder nichts, einfach so, weil man den Tod nicht überschätzen darf. Ich kann nicht weniger einverstanden mit dir sein. Ich glaube, der Vers ist von Rimbaud«, fügte ich hinzu, um ihn vorzuführen, ich hatte mich von ihm schon allzu sehr in die Enge treiben lassen. Ich lehnte mich damit ein wenig aus dem Fenster, ich war mir überhaupt nicht sicher.
    Doch er schenkte der Angabe keine Bedeutung; ich war gebildet, ich beherrschte ein paar Fremdsprachen, ich hatte in Oxford unterrichtet, er gestand mir da keinerlei Verdienst zu. Was war schon daran, daß ich ein Zitat erkannte. Er lachte trocken, ein einziges Mal, als ahmte er Bitterkeit nach.
    »Niemand ist harmlos, Jack. Niemand«, sagte er. »Und du scheinst dir nicht klarzumachen, daß es deine Schuld war. Denk mal ein bißchen nach.«
    »Was willst du damit sagen? Weil ich zugelassen habe, daß er sich der Dame näherte, daß er sich gut mit ihr verstand? Sie wollte, daß ihr jemand den Hof macht, der erstbeste Trottel, egal wer. Da brauchst du gar nicht so weit auszuholen. Du hast es mir selbst gesagt.« Das Wort ›mameluco‹ für ›Trottel‹ war mir im Kopf herumgegeistert, seitdem Manoia es mir auf italienisch bestätigt hatte, und die Wörter lösen sich erst dann auf, wenn man sie so oft fallen läßt wie nötig. Natürlich klang es im Englischen gesuchter, ›mameluke‹, und unpassend, es hat nicht einmal die Bedeutung, die bei uns am häufigsten ist.
    »Nicht nur deshalb. Ich habe dich gebeten, die beiden zu finden, Flavia zurückzubringen, dich nicht aufzuhalten und diesen Garza aus dem Weg zu räumen. Du warst dazu nicht fähig. Ich mußte mich auf die Suche nach euch machen und die Sache regeln. Und dann beklagst du dich noch. Als ich sie fand, hatte Mrs. Manoia schon ein Zeichen auf der Wange. Wenn ich mich der Sache nicht angenommen hätte, wäre es schlimmer ausgegangen, du kennst den Ehemann nicht, ich wohl. Ich konnte den Scheißspanier nicht einfach nur rauswerfen lassen.« Ich dachte, daß er bisweilen vergaß, daß auch ich einer war, ein Spanier, vielleicht ein Scheißspanier. »Mit einem Wundmal, einer Verletzung in Flavias Gesicht, hätte ihm das nicht genügt. Er hätte sich deinen Freund vorgenommen und ihm mit ein wenig Glück den Arm ausgerissen, wenn nicht gleich den Kopf. Du wirfst mir völlig belanglose Dummheiten vor, du lebst in einer winzigen Welt, die kaum existiert, abgeschirmt von der Gewalt, die zu jeder Zeit die Norm gewesen ist und das fast überall, das ist, als würde man ein Zwischenspiel für die ganze Vorstellung halten, ihr habt ja keine Ahnung, ihr, die ihr nie diese Zeit verlaßt oder unsere Länder, in denen bis vorgestern ebenfalls Gewalt herrschte. Was ich getan habe, war nichts. Das geringere Übel. Und du warst schuld.«
    Das geringere Übel. Tupra gehörte also zu den unverwechselbaren Menschen, die es immer gegeben hat und die ich auch aus meiner Zeit kenne, sie sind immer zahlreich. Zu denen, die sich rechtfertigen, indem sie sagen: ›Es war notwendig, und ich habe damit Schlimmeres verhütet, oder das glaubte ich; andere hätten das gleiche getan, nur mit sehr viel größerer

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