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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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müde war. Er hatte eine Anstrengung unternommen, auch er eine Anstrengung des Übersetzens oder Deutens, als wäre er ich und ich wäre Tupra in unserem Büro, und Tupra bedrängte ihn, damit er von Luisa sprach, hoffentlich unterzogen sie sie nie einer Prüfung, es gab keinen Anlaß dafür, daß das geschehen könnte, schon beim bloßen Gedanken lief es mir kalt den Rücken hinunter. Mein armer Vater war meinem Wunsch gefolgt, er hatte versucht, mir zu helfen, ein Gefallen für den Sohn, er hatte mir gesagt, was er glaubte, wie er sie sah, was ihm für ihre nächste Zukunft erwartbar schien. Vielleicht lag er richtig mit seinen Einschätzungen, und wenn Luisa mit jemandem ausging, dem in einem schlechten Moment die Hand ausgerutscht war, an einem sehr schlechten Tag, so konnte es sein, daß sie jetzt versuchte, ihn zu entschuldigen und zu bessern und zu verstehen, anstelle sich von ihm zu entfernen oder fortzulaufen, was man tatsächlich tun muß, solange noch Zeit dafür ist, das heißt, solange man nicht gebunden ist, sondern nur eingewickelt. Es konnte sein, daß sie darüber hinweggehen und den Vorfall löschen wollte, daß sie sich Mühe gab, die Sache in den Bereich der bösen Träume zu verweisen oder in den Abfalleimer der Einbildungen zu werfen, wie die meisten von uns es tun, wenn wir wünschen, daß uns das Gesicht nicht so bald im Stich lassen möge, daß es uns nicht schon heute im Stich läßt, anstatt wenigstens die Rücksicht aufzubringen, auf morgen zu warten, um uns zu enttäuschen. Die Belastbarkeit vieler Frauen ist fast unendlich groß, vor allem wenn sie sich als Retterinnen oder Heilerinnen oder Erlöserinnen fühlen, wenn sie glauben, daß es ihnen gelingen wird, einen Mann, den sie lieben oder den um jeden Preis zu lieben sie beschlossen haben, aus der Stagnation oder der Krankheit oder dem Laster zu befreien. Sie denken, mit ihnen werde er anders sein, er werde sich läutern oder bessern oder ändern, und sie wären dann nicht mehr wegzudenken, manchmal hat es für mich so ausgesehen, als wäre der Akt, jemanden zu erlösen, für diese Frauen eine – naive, leichtgläubige – Methode, sich seiner bedingungslosen Zuneigung zu versichern: ›Er kann ohne mich nicht leben‹, denken sie, ohne es tatsächlich ganz zu denken oder in Worte zu fassen. ›Er weiß, daß er ohne mich wieder ein Versager wäre, ein Taugenichts, ein Kranker, ein Deprimierter, ein Drogensüchtiger, ein Säufer, ein Gescheiterter, nicht mehr als ein Schatten, ein Verurteilter, ein Ausgemusterter. Er wird mich nie verlassen oder uns gefährden, er wird mich nicht mies behandeln, er wird nicht riskieren, daß ich gehe. Nicht nur wird er mir auf ewig dankbar sein, ihm wird auch bewußt werden, daß er sich mit mir über Wasser hält und schwimmt und sogar rasch vorankommt, während er ohne mich untergeht und ertrinken muß.‹ Ja, das scheinen viele Frauen zu denken, wenn ein schwieriger oder unglückseliger oder hoffnungsloser oder gewalttätiger Mann ihren Weg kreuzt, eine Herausforderung, ein lohnendes Ziel, eine Aufgabe, jemand, den man auf den rechten Weg bringen oder aus einer Hölle retten kann. Und es ist unbegreiflich, daß sie nach so vielen Jahrhunderten fremder Erfahrungen und Erzählungen noch nicht wissen, daß diese Männer glauben werden, sie hätten sich selbst berappelt und alles erreicht, sobald sie sich befreit und optimistisch und gesund fühlen – sobald sie sich wirklich fühlen und nicht mehr als Gespenster –, und daß sie dann sie mit größter Wahrscheinlichkeit als Hindernis sehen werden, als Bürde, die sie davon abhält, frei loszulaufen oder weiter aufzusteigen. Und ebenso unbegreiflich ist es, daß die Frauen nicht merken, daß sie selbst am stärksten verwickelt oder verknotet sein werden und niemals bereit, den Betreffenden zu verlassen, denn sie werden diese abhängigen und orientierungslosen oder reizbaren und versehrten Männer in nichts anderes als ihre Mission verwandelt haben, und keiner verzichtet je auf eine Mission, wenn er sie hat oder zu haben glaubt, wenn er sie endlich gefunden hat und als unabschließbar ansieht, als lebenslange Aufgabe, als tägliche Rechtfertigung seiner unmotivierten Existenz oder seiner unzähligen Schritte über die Erde und seines so langsamen Durchgangs durch diese kleine Welt …
    Ich stand auf und legte ihm die Hand auf die Schulter, eine Geste, die meinen Vater in den letzten Jahren beruhigte, wenn er sich erschrocken oder schwach fühlte oder

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