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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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ihre Wunschvorstellungen, sie muß noch völlig durcheinander sein.« Nun breitete sich auf seinem Gesicht ein Ausdruck von Mitleid aus, ähnlich dem vieler Mütter, wenn sie ihre kleinen Kinder beobachten und sie noch so unwissend und so langsam im Lernen sehen (und daher so schutzlos). Naivität ruft meistens Mitleid hervor. Mein Vater schien sie in Luisa zu sehen, von der er gerade sprach, aber möglicherweise sah er sie auch in mir, der ich ihn nach ihr fragte, wo er mir doch nicht helfen konnte. Höchstens mich ablenken und mir zuhören, das und nichts anderes bedeutet es, die Sorgen eines anderen anzunehmen. »Sicher, das ist ein bißchen kindisch. Als hätte sie schon immer ein Lebensmodell im Kopf gehabt, und der schwere Rückschlag mit dir hätte sie nicht dazu gebracht, es aufzugeben, noch nicht, und nun dächte sie: ›Wenn er nicht das war, was ich glaubte, dann muß es wohl ein anderer sein. Wo steckt er bloß, ich muß ihn finden, ich muß ihn sehen.‹ Mehr kann ich dir wirklich nicht sagen. Sie hat kein Interesse an Schmeicheleien und selbstverständlich auch nicht an kurzlebigen Eroberungen, um ihr Selbstvertrauen zu stärken. Wenn sie mit jemandem ausgeht, wenn sie es denn tut, wird sie ihn als den Endgültigen betrachten, als ihren künftigen Ehemann, und alle ihre Anstrengungen darauf richten, daß nichts schiefgeht, sie wird ihn mit unendlicher Geduld und gutem Willen behandeln, sie wird ihn lieben und aufs Äußerste begehren wollen.« Er machte eine Pause und richtete den Blick zur Decke, als wollte er sich Luisa an der Seite eines dauerhaften Schwachkopfs ausmalen, dem gegenüber sie die besagte Geduld übte. Dann fügte er bedauernd hinzu: »Schlecht für sie. Ich würde sagen, daß so etwas die Männer vertreibt oder daß es nur Kleinmütige anzieht. Dich würde es ganz sicher vertreiben, Jacobo. Du gehörst nicht zu denen, die heiraten. Auch wenn du einige Jahre verheiratet gewesen bist und das jetzt vermißt. In Wirklichkeit vermißt du aber nur sie, nicht die Ehe. Es hat mich immer überrascht, daß du dich dazu bereitgefunden hast. Es hat mich auch überrascht, daß es für dich nicht schneller an ein Ende gekommen ist, ich habe nie daran geglaubt, daß so etwas bei dir von Dauer sein könnte.«
    Ich wollte diesen Pfad nicht weiter beschreiten, bestimmt empfand ich keine Neugier für mich selbst oder, wie jener anonyme Bericht in der Kartei im Büro behauptete, ich setzte mich selbst als selbstverständlich oder als gewußt voraus; oder vielleicht hielt ich mich im Gegenteil für einen hoffnungslosen Fall, an den man keine Überlegungen verschwenden durfte. Also beharrte ich darauf, über jemanden zu sprechen, den ich viel besser oder auch doch nicht so gut kannte, schwer zu wissen:
    »Glaubst du, aus dieser Eile heraus könnte sie mit einem Mann zusammenbleiben, der nicht gut für sie ist, mit jemandem, der Unheil bringt?«
    »Nein, das auch wieder nicht«, antwortete er. »Luisa ist eine intelligente Frau, und falls sie eine Enttäuschung hinzunehmen hat, wird sie das tun, auch wenn das unwillig geschehen mag und sie sich sträubt und es ihr schwerfällt … Vielleicht mit jemand Mittelmäßigem oder mit einem, der sie nur zum Teil zufriedenstellt oder der sogar irgendeinen Zug hat, der ihr mißfällt, das ist denkbar. Was ich schon glaube, ist, daß sie diesem möglichen Ehemann, was er auch für ein Mensch sein mag, diesem Projekt, demjenigen, auf den ihr Blick fällt, zahllose Chancen einräumen wird, sie wird von sich aus sehr viel geben, wird versuchen, so verständnisvoll wie möglich zu sein, so wie sie es zweifellos dir gegenüber versucht hat, bis du eine Grenze überschritten hast, nehme ich an, ich habe euch ja nie gefragt, was zwischen euch eigentlich passiert ist … Sie wird diesem Mann keinen Blankoscheck ausstellen, aber bevor sie ihn wegschickt, wird sie fast das ganze Scheckheft aufbrauchen, einen Scheck nach dem anderen. Meines Wissens gibt es diese Person aber noch nicht, oder sie hat noch keine so große Bedeutung angenommen, daß Luisa mit mir darüber sprechen oder mich nach meiner Meinung fragen würde. Du mußt bedenken, daß ich für Luisa jetzt das bin, was einem Vater am nächsten kommt, und daß sie sich die kindliche Haltung bewahrt hat, die sie so liebenswert macht und derentwegen sie sich bei ihren Älteren Rat holt. Also, in einigen Aspekten bewahrt. In anderen natürlich nicht. Wann, hast du gesagt, fährst du zurück nach Oxford?«
    Ich sah, daß er

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