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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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jedenfalls den Anschein, mit einer Statue des polnischen Papstes davor, totus tuus , aber mit einer vorstehenden, fast frankensteinischen Stirn und ausgebreiteten, hoch erhobenen Armen, als wollte er jeden Moment loslegen und eine jota tanzen; und das, so schrecklich es auch sein mag, ist vielleicht noch das am wenigsten Häßliche, es gibt dort neben anderen Scheußlichkeiten auch ein paar scheußliche Fenster von einem unvorstellbaren Künstler namens Kiko (Kiko Soundso), von einem solchen Namen kann man nichts Anständiges erwarten. Jetzt hatte ich es, jetzt sah ich den Teil der Straße vor mir.
    ›Zu gar nichts. Um sie mir vorzustellen. Und was hast du gesehen?‹
    ›Was soll ich schon gesehen haben, nichts eben. Sie ist bei Rot über die Straße gelaufen, als sie die Calle Mayor überquerte, so eilig hatte sie es, bei zehn Minuten Verspätung. Mir ist nur eines aufgefallen, und zwar hatte es angefangen zu regnen, aber er hat sich nicht im Hauseingang untergestellt (er hätte nur zwei Schritte zurück machen müssen), sondern draußen im Regen auf sie gewartet. Vielleicht stand er da, um sie schneller sehen zu können, aus Ungeduld.‹
    ›Oder vielleicht, um weitere Gründe zu haben, ihr die Verspätung vorzuhalten‹, sagte ich boshaft. ›So konnte er ihr ein noch schlechteres Gewissen machen, ihr sagen, wegen ihr sei er ganz durchweicht oder hätte sich gar erkältet. Wie hat er sie empfangen? Haben sie sich umarmt, hat er ihr einen Kuß gegeben, ihr den Arm um die Taille gelegt?‹
    ›Ich glaube nicht, ich glaube, sie haben sich nicht berührt. Von der Körperhaltung und von irgendeiner Geste her hatte ich den Eindruck, daß sie sich schnell entschuldigt hat, sie hat auf mein Auto gezeigt, sich gerechtfertigt, aber was spielt das für eine Rolle?‹
    ›Hast du die beiden noch hineingehen sehen?‹
    ›Ja, direkt bevor die Ampel auf Grün sprang. Jetzt, wo du mir all diese Fragen stellst, es könnte sein, daß er ein wenig verärgert war, er ist nämlich ins Haus gegangen, ohne ihr die Tür aufzuhalten, Luisa ging hinter ihm, eine Hand auf seiner Schulter, wie um ihn zu besänftigen oder seine Stimmung zu heben; sie schien sich immer noch zu entschuldigen.‹
    ›Schon klar. Ein Choleriker, ein Möchtegernkünstler, ein Hysteriker. Jedenfalls kein großer Gentleman.‹
    ›Na ja, so schlimm war es auch nicht, keine Ahnung, es war nur ein kurzer Eindruck. Aber es stimmt schon, auf Gentleman macht er nicht. Gut angezogen ist er, immer mit Krawatte, sehr klassisch-formbewußt. Aber sein Erfolg gründet wohl eher darauf, daß er wie einer aus der Halbwelt daherkommt, viele Frauen finden das attraktiv. Ich nicht, überhaupt nicht, aber ich bin ja auch ein bißchen komisch, oder vielleicht liegt es daran, daß ich schon ein paar von der Sorte kennengelernt habe, und die sind einfach nicht das Wahre. An dem Tag, mit den zurückgekämmten, klatschnassen Haaren, hatte er etwas Beunruhigendes. Er wirkt wie ein angespannter, konzentrierter Mann, mit einer sehnigen Energie, ständig unter Spannung, meine ich. Vom Aussehen her fand ich ihn schon immer ein bißchen düster. Herzlich im Umgang, ein Verführer, aber düster.‹
    ›Wie alt ist er?‹
    ›Ich weiß nicht, jetzt wohl um die Fünfzig, schätze ich. Wobei er jünger aussieht.‹
    ›Zehn, zwölf Jahre älter als Luisa. Das ist schlecht, dann hat er vermutlich Autorität oder Einfluß auf sie. Weißt du, wie er mit Vornamen heißt?‹
    ›Esteban, glaube ich. Warte. Ja, Esteban. Luisa hat ihn ein paarmal so genannt, allerdings nennt sie ihn mehr beim Nachnamen, wie um sich zu distanzieren oder zu zeigen, daß er ihr in Wirklichkeit gar nicht so nahe steht.‹ ›Auch ich nenne die junge Pérez Nuix beim Nachnamen‹, dachte ich, ›aber das ist etwas ganz anderes.‹ ›Wie gesagt, zeitweise ist es, als schämte sie sich, einen Freund zu haben. Als Mutter, nach dir, und so.‹
    ›Esteban Custardoy. Du bist aber nicht sicher? Als Maler ist er nicht bekannt? Ich meine, sein Name steht nicht in der Zeitung, er macht keine Ausstellungen oder dergleichen?‹
    ›Nein, nicht daß ich wüßte; aber ich achte da auch nicht sehr darauf, das letzte, was mich interessieren würde, ist Gegenwartsmalerei. Ich glaube, er ist mehr Kopist. Luisa hat mal erwähnt, daß er gelegentlich Aufträge für Bilder aus dem Prado bekommt, und dann sitzt er in den toten Stunden dort und studiert und kopiert sie. Oder aus anderen Museen im Ausland, dann verreist er, um sie sich

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