Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
wenigstens ein paar Tage lang anzusehen, irgendwo in Europa. Ranz hat mir erzählt, daß er das Handwerk von seinem Vater gelernt hat, Custardoy den Älteren nannten sie ihn, er hat schon Kopien für seinen Vater angefertigt, ich meine den von Ranz. Ihn nannten sie am Anfang Custardoy den Jüngeren. Ich weiß nicht, ob das immer noch so ist.‹
Ich schwieg einen Moment lang. Ich steckte mir eine Karelias an, ich hatte eine Stange mitgebracht, in Madrid würde ich keine finden.
›Etwas paßt da nicht zusammen, Cristina. Ich kann mir nicht denken, daß Luisa sich von einem Typen mißhandeln läßt, erst recht nicht, wenn sie ihn erst vor so kurzer Zeit kennengelernt hat, vor ein paar Monaten. Wenn unsere Vermutungen zutreffen, dann hat er sie nicht nur einmal, sondern zweimal geschlagen. Ich würde nicht verstehen, daß sie sich immer noch mit ihm trifft und mit ihm ins Bett geht, als wäre nichts gewesen; daß sie nicht schon beim ersten Mal Schluß gemacht hat, vom zweiten ganz zu schweigen. Gestern noch hat sie es mir gegenüber abgestritten; in gewisser Weise hat sie ihn in Schutz genommen, oder sich, ich meine, ihre Beziehung zu ihm, niemand sollte sie anrühren oder sich einmischen, sich zwischen die beiden stellen. Es ist begreiflich, daß ich der letzte bin, mit dem sie über einen neuen Freund sprechen möchte, und wenn er problematisch ist, erst recht, selbst wenn er eine Gefahr für sie darstellen mag. Aber mit dir? Wie würdest du dir so einen Durchhaltewillen erklären? Und das bei einer Frau wie ihr, die nichts Unterwürfiges hat.‹ Mir wurde klar, daß ich es zum ersten Mal sagte und auch dachte oder es mir wirklich vor Augen hielt, als etwas Reales und Regelmäßiges, Fortgesetztes: ›… und mit ihm ins Bett geht, als wäre nichts gewesen‹, das war aus meinem Mund gekommen. Na klar, sie gingen miteinander ins Bett, das ist einer der Reize daran, mit jemandem zusammenzusein, und es ist so üblich. ›Aber das will nicht viel heißen, jedenfalls nicht unbedingt‹, beeilte ich mich zu denken, um die flüchtige Vorstellung und die Worte abzumildern; ›auch ich bin mit Pérez Nuix und mit anderen ins Bett gegangen, und es ist fast, als wäre es nicht geschehen. Sie sind nicht in meinen Gedanken, ich erinnere mich nicht an sie oder nur von Zeit zu Zeit und ohne irgendein Gefühl. Na ja, bei Pérez Nuix ist das etwas anderes, weil ich sie täglich sehe, und sooft ich sie sehe, erinnere ich mich, oder besser gesagt, ich weiß es, auch wenn der Sex mit ihr der unpersönlichste war, wie soll ich sagen, fast blind, fast anonym und tonlos. Auch mit anderen Frauen bin ich in der Vergangenheit regelmäßig und fortgesetzt ins Bett gegangen, etwa mit Clare Bayes in England oder mit jener Freundin in der Toskana, der ich mein Italienisch verdanke. Und wenn schon, das sind nichts als Einträge in einem Archiv, verzeichnete Tatsachen, die mich seit langem nicht mehr bestimmen oder beeinflussen. Nein, das hat nicht viel zu bedeuten, wenn es erst vorbei ist. Das einzige ist, daß es bei Luisa gerade geschieht und eben noch nicht vorbei ist, und außerdem tut es ihr weh und bedroht uns alle, alle vier.‹
Jetzt war es Cristina, die einige Sekunden lang nachdachte. Ich hörte sie am anderen Ende der Leitung den Atem ausstoßen, vielleicht hatte sie das Gespräch schon satt oder mußte ihre Reisevorbereitungen wieder aufnehmen.
›Was weiß ich, Jaime. Möglicherweise täuschen wir uns, und er hat ihr gar nichts getan, sie hat sich an einem Poller und an der Garagentür angeschlagen, eine Pechsträhne eben. Das Dumme ist, daß weder du das glaubst noch ich. Mir scheint, sie ist fest entschlossen, mit ihm weiterzumachen, so sehr sie sich gleichgültig oder distanziert gibt, und in solchen Fällen ist alles möglich, wenn jemand lieben will, läßt er sich nicht durch Umstände oder externe Faktoren davon abbringen. Höchstens von der geliebten Person, wenn sie seine Liebe zurückweist, und manchmal nicht einmal dann. Die Leute bringen mehr Durchhaltewillen auf, als wir glauben. Wenn sie sich erst einmal verwickelt haben, nehmen sie so gut wie alles in Kauf, wenigstens für eine gewisse Zeit, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Sie glauben, sie könnten das Schlechte ändern oder es sei nur etwas Vorübergehendes. Und Luisa ist geduldig, die Langmut in Person, überleg nur, wie viel Zeit sie gebraucht hat, um mit dir Schluß zu machen. Im übrigen weiß ich nicht, wozu wir hier überhaupt reden. Sie wird uns
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