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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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möglichst wenig zu sehen und sie aus der verhängnisvollen Beziehung zu reißen, in die sich begeben hatte, auch wenn sie selbst das nicht so sehen mochte oder sich gar davon angezogen fühlte, noch schlimmer. Und falls sie tatsächlich ihre Verwunderung ausdrücken sollte, daß ich so wenig darauf beharrte, konnte ich immer noch sagen, ganz der Gentleman: ›Du bist diejenige, die hier die meisten Verpflichtungen hat. Ich bin ja bloß vorübergehend da, fast schon ein Tourist. Da finde ich es nur richtig, dir die Initiative zu überlassen. Außerdem bin ich viel bei meinem Vater, es geht ihm nicht so gut. Er läßt dich übrigens grüßen, er fragt nach dir.‹ Ich versuchte also, mich von ihr fernzuhalten, nicht mit ihr zusammenzutreffen, außer wenn es sich um ein echtes Zusammentreffen handelte, mich wenig sehen zu lassen und ihr auch nicht rein zufällig über den Weg zu laufen, was meine Versuchung und Neigung gewesen wäre, hätte ich nicht, kaum in Madrid angekommen, jene unvorhergesehene, konkrete, dringende, ja, lebensnotwendige Aufgabe vorgefunden. Nicht, daß es mir leicht gefallen wäre, mich so zurückhaltend zu geben, vor allem als die Tage der ersten Woche verstrichen, ohne daß Luisa zu bedauern schien, daß sie meinen Aufenthalt ungenutzt verstreichen ließ; zudem – das war das Verletzendste – zeigte sie auch keinerlei Neugier auf mein Leben in London und den, der ich dort war, anscheinend wollte sie nicht wissen, mit wem ich Umgang pflegte oder ob ich mich in einen anderen Menschen verwandelt hatte, und wäre es nur an der Oberfläche, und auch für meine gegenwärtige Arbeit interessierte sie sich nicht, von der ich ihr am Telefon so wenig erzählt hatte, bis zu dem Punkt, daß ich den gelegentlichen Fragen geradezu ausgewichen war, die sie zwar oberflächlich und aus Höflichkeit gestellt haben mochte, aber immerhin hatte sie sie gestellt. Jetzt kamen gar keine Fragen, egal welcher Art, und sie suchte auch nicht nach Gelegenheiten, mir welche zu stellen: Während jener ersten Woche ging nichts von ihr aus, weder der Versuch, dass wir uns sahen oder verabredeten oder gemeinsam essen gingen, noch auch eine Einladung, ein wenig länger zu Hause zu verweilen, etwa zum Abendessen zu bleiben oder noch ein Glas mit ihr zu trinken, wenn ich Guillermo und Marina bei Einbruch der Dunkelheit vom Kino oder aus dem Retiro-Park oder von sonstwoher zurückbrachte. Es war, als hätte sie fast keine geistige Kapazität dafür übrig, sich um etwas anderes zu kümmern als um ihre Beziehung zu Custardoy, ich nahm jedenfalls an, daß es das war, was sie so ausfüllte, was sonst. Ich fand sie vertieft, versunken. Aber es war nicht das Vertieftsein, das aus der reinen Freude oder Erfüllung hervorgeht. Auch nicht aus der bloßen Niedergeschlagenheit oder dem Gequältsein oder der Beklemmung, es war das eines Menschen, der sich müht, etwas zu begreifen oder zu ergründen.
    Und ich besuchte tatsächlich meinen Vater und sah meine Geschwister und einige wenige Freunde, und ich ging in Antiquariate und spazierte durch die Stadt. In einer der Buchhandlungen erstand ich ein Geschenk für Sir Peter, ein großformatiges Buch mit Propagandaplakaten aus unserem Bürgerkrieg, ich hatte gesehen, daß einige mit dem Motiv abgebildet waren, das in seinem Land als › careless talk ‹ oder ›unvorsichtige Unterhaltung‹ bezeichnet worden war, mit ganz ähnlichen Ermahnungen, mir war es so vorgekommen, als hätte ich schon einige spanische Beispiele gesehen, bei ihm war das nicht der Fall, er würde diese Vorläufer gerne zur Kenntnis nehmen und Mrs. Berry ebenfalls. Ich mußte ihn unbedingt gleich nach meiner Rückkehr besuchen. Eines Morgens fuhr ich noch einmal in die Gegend, in die von Custardoy, und sah mir vom Gehsteig gegenüber den Hauseingang in der Calle Mayor an, wo er wohnte oder sein Atelier hatte. Der Eingang war auch diesmal zu, möglicherweise gab es also keinen Hausmeister oder er hatte kurze oder träge oder exzentrische Arbeitszeiten. Am Ende hatte ich ohnehin beschlossen, ihn nicht zu fragen, falls ich mit ihm zusammentraf: Besser, niemand sah mich und konnte mich identifizieren oder gar mit Custardoy in Verbindung bringen. Wenn ich mich offen für diesen Kopisten und Fälscher interessierte, hatte ich später vielleicht ein Problem, je nachdem, was zwischen ihm und mir passierte, das kann man nie wissen, wenn zwei Männer sich gegenübertreten und in Streit geraten, wenn der eine versucht, etwas von dem

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