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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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die lächerliche Angewohnheit hat, alle naselang die Hängung der Bilder zu verändern – als würden die Verantwortlichen einen Supermarkt führen –, und ich schon ahnte, daß es mich etwas Zeit kosten würde, den gegenwärtigen Standort dieser Bilder ausfindig zu machen, verzichtete ich auf meinen Anfangsrundgang oder die Kopisteninspektion. Und genau da, in einem der großen, langgezogenen Säle im Erdgeschoß, fiel mein Blick im Vorübergehen auf einen Typen mit dem kurzen Pferdeschwanz eines Piraten oder Stierkämpfers, der nichts kopierte, sondern sich vor einem Gemälde Notizen machte oder Bleistiftskizzen anfertigte, in einem Block von beträchtlichem Format, wenn auch nicht so groß, daß er es nicht in der freien Hand hätte halten können. Der Mann stand ziemlich nahe vor dem Ölgemälde und daher mit dem Rücken zu mir oder zu jedem, der sich nicht auf seiner Höhe oder ihn mutwillig störend in seinem Blickfeld plazierte. Praktisch gesehen, hätte ich zu beidem das Recht gehabt, nicht selten stellen sich heutzutage die flegelhaften Touristen – fast schon eine Tautologie – oder die einheimischen Flegel aus jeder beliebigen Stadt ohne die geringste Geduld oder Rücksicht zwischen ein Bild und dessen Betrachter, ja, sie verpassen ihm sogar ein paar kaum verhohlene Ellenbogenstöße, damit er beiseite tritt und sie seinen mittiger gelegenen Platz einnehmen können, der Stil der Welt, von dem Tupra manchmal sprach, ist ein unhöflicher geworden und am meisten in Spanien, auch wenn es sich in der Tat um ein geradezu universelles Phänomen handelt. Ich blieb in einem gewissen Abstand stehen, und nicht nur, um nicht in dieselbe Unart zu verfallen. Anfangs beobachtete ich ihn von hinten, aber so, wie rechts von ihm kein Platz war, sondern nur eine Kordel und die Seitenwand, so befand sich zur Linken des Bildes eine hohe Tür und links davon ein weiteres Gemälde (das waren die einzigen zwei an der hinteren Wand), ich trat also vorsichtig auf diese Seite, um ihn, so gut es ging, im Profil zu sehen, möglichst jedoch ohne in sein Gesichtsfeld zu kommen. Bald wurde mir klar, daß ich mir darüber keine Sorgen zu machen brauchte, er war sehr auf das Gemälde und auf seinen Zeichenblock konzentriert, seine Augen gingen schnell zwischen den beiden hin und her, ohne auf etwas anderes zu achten, nicht einmal das ständige Kommen und Gehen der Touristenherden konnte ihn ablenken, hauptsächlich Italiener (sie kamen die Werke ihrer historischen Landsleute bewundern). Kurioserweise drängten sie sich nicht dort, wo er stand, um partout dasselbe zu betrachten wie er und ihm auf den Wecker zu gehen; vielmehr gingen sie, da sie ihn so versunken und emsig sahen, einfach weiter, ohne vor dem Ölgemälde stehenzubleiben, so als fühlten sie sich von dieser reglosen, angespannten Gestalt eingeschüchtert und wären bereit, ihr das Bild vorübergehend zum exklusiven Gebrauch zu überlassen. Ich sah, daß er einen Schnurrbart und einen nicht allzu langen Backenbart trug, allerdings etwas länger als heute üblich, oder vielleicht war er deshalb so auffällig, weil Custardoys Haupthaar glatt und krapprot war und keine sichtbaren grauen Stellen aufwies, der Backenbart dagegen war kraus und sehr viel dunkler, fast schwarz, aber auch mit weißen und grauen Fäden durchzogen, als hätte das Alter beschlossen, sein Werk von den Flanken her zu beginnen und die helle Kuppel erst später anzugehen. Er war ziemlich groß und schlank, vielleicht mit einem leichten Bierbauch, der sich um die Hüften angelagert hatte, doch dem allgemeinen Eindruck nach ein hagerer, knochiger Typ, und was ich von seinen Wangen und der breiten Stirn erahnen konnte, verstärkte diesen Eindruck noch, genau wie seine rechte Hand, die er geschwind bewegte, mit langen und kräftigen Fingern wie denen eines professionellen Pianisten; eigentlich Finger wie Tasten, die Furcht einflößten.
    Da ich ihn nicht frontal anschauen und daher weder seine Augen noch die Lippen noch die Zähne noch den Gesichtsausdruck sehen konnte (die Nase schon, im Profil), war es mir unmöglich, ihn zu deuten, ich meine in der Art, wie ich es in dem namenlosen Gebäude mit so vielen berühmten oder unbekannten Gesichtern tat, die ich jedoch fast immer sprechen hörte, in Person oder auf Videobändern. Soweit ich zu erkennen vermochte (am besten bot sich mir noch die linke Seite dar, wenn ich vorgab, das andere Bild zu betrachten, das durch die hohe Tür von dem seinen getrennt war, und

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