Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
großer Überzeugung. ›Ich habe ein Telegramm für Herrn Custardoy. Er ist der Maler. Ist Ihnen nicht bekannt, daß hier ein Maler wohnt? Ein Kunstmaler, kein Handwerker, sondern so einer wie Goya, kennen Sie ihn nicht?‹
›Doch, natürlich kenne ich Goya. Der die Maja gemalt hat.‹ Sie klang ein wenig beleidigt. ›Aber, wie Sie sich denken können, wohnt er nicht hier. Und auch sonst nirgends, er ist nämlich schon tot, falls Sie das nicht mitbekommen haben sollten.‹
Ich fluchte innerlich über den merkwürdigen Nachnamen des Fälschers und gab mein Vorhaben auf. Ich konnte hier nicht ewig bleiben und überall klingeln, entweder würde ich ein andermal weitermachen (immer zwei auf einmal, ich durfte es nicht zu weit treiben) oder zu einer anderen Stunde wiederkommen, wenn möglicherweise der Hausmeister da war, falls es einen gab. Und außerdem ging mir durch den Sinn, daß Custardoy die Wohnung vielleicht unter falschem Namen gemietet oder gekauft hatte, wie es sich für einen Kriminellen anbot, oder aber unter seinem wahren Namen, dann war Custardoy ein Pseudonym. In keinem der beiden Fälle würde mir einer der Hausbewohner etwas über ihn sagen können.
Es entging mir nicht, daß Tupra angesichts eines nur partiellen Mißerfolgs wie diesem (ich hatte so gut wie sicher das richtige Gebäude, was schon viel war, mußte mich aber noch vergewissern und das richtige Stockwerk und die Wohnung herausfinden) keinerlei Bedenken gehabt hätte, sich frühmorgens vor meinem Haus zu postieren – das heißt vor dem von Luisa –, zu warten, bis sie herauskam, und sie so lange zu beschatten wie nötig, in der Gewißheit, daß sie irgendwann in die Gegend um den Palacio Real und das kathedraleske Ungetüm fahren würde, zur Cuesta de la Vega und zum Parque de Atenas, zu den Jardines de Sabatini und dem Campo del Moro, zum Viadukt und den Las-Vistillas-Gärten oder was davon noch übrig war, ich hatte gelesen, daß die Stadtverwaltung und die Kirche sich verschworen hatten, sie niederzuwalzen, um das Grundstück gewinnbringend für Bischofsbüros oder semiklerikale Wohnungen oder ein Parkhaus oder dergleichen zu nutzen: zum Madrid der Habsburger, das sich mit dem von Karl III . vermischte, und irgendwann würde Luisa an diese oder eine andere Haustür kommen. Aber ich hatte da Bedenken. Nicht nur, daß es mir ungut oder schäbig vorgekommen wäre, ihr heimlich zu folgen, vor allen Dingen fürchtete ich, entdeckt zu werden, und dann wären alle meine Pläne in sich zusammengefallen: Sie wäre wachsam geworden, sie wäre mit Sicherheit sauer gewesen und hätte es sich verbeten, daß ich mich in egal welchen Teil oder Winkel ihres Lebens drängte, ich hätte nicht mehr mit Custardoy reden oder Einfluß auf ihn nehmen können, ohne daß sie das Ergebnis oder die Veränderung auf mich zurückführte, sie hätte mir die Schuld an dem wünschenswerten Bruch oder Rückzug seitens des Schwindlers gegeben und kein Wort mehr mit mir gewechselt, so wie ihre Schwester es vorausgesagt hatte: wenn nicht nie wieder, so doch auf lange Zeit nicht. Nein, ich mußte sie retten, ohne daß sie etwas von meinem Eingreifen mitbekam, oder so wenig wie möglich. Ein wenig mißtrauisch würde sie in jedem Fall werden, wegen der Koinzidenz mit meinem Aufenthalt in der Stadt: Gerade wenn ich auftauchte oder kurz danach, machte ihr Freund einen Abgang, nein, das war zuviel Zufall auf einmal, sie würde zu der Überzeugung gelangen, ich hätte etwas damit zu tun gehabt. Aber wenn ich es richtig anstellte und ihr gegenüber nichts Unvorsichtiges sagte, so würde das eine Überzeugung ohne Beweise oder auch nur Indizien bleiben, und die schwächen sich in der Regel bald ab und landen am Ende im Abfalleimer des Argwohns und der Einbildungen.
In den folgenden Tagen besuchte ich die Kinder, sooft ich konnte, oder ging mit ihnen aus, und dabei begegnete ich Luisa ein paarmal beim Abholen oder Zurückbringen, meistens jedoch nicht, da war nur die polnische Babysitterin zu Hause. Ich vermied es, über Gebühr zu verweilen, wie ich es am ersten Abend getan hatte; ich vermied es, Luisa weiter nach ihrem blauen Auge zu fragen oder wagte es höchstens, beiläufige und neutrale Bemerkungen zu machen: ›Das sieht ja schon viel besser aus, ich hoffe, du paßt jetzt besser auf dich auf.‹ Ich bestand auch nicht darauf, daß wir uns alleine verabredeten, um abends essen zu gehen und uns in Ruhe zu unterhalten, es war das Beste, sie während dieses Aufenthalts
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