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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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wenn ich es wagte, mich im Schutz der Entfernung auf eine Höhe mit ihm zu stellen), stimmte alles mit der nachlässigen, doch letztlich präzisen Beschreibung überein, die mir Cristina von Custardoy gegeben hatte, oder es widersprach ihr nicht. Ich hatte sie erst zum Schluß nach seinem Aussehen gefragt, als sie schon müde war und es eilig hatte, zum Ende zu kommen. ›Keine Ahnung‹, hatte sie geantwortet, ›ein knochiger oder sehr sehniger Typ mit einer langen Nase wie ein zigeunerhafter Sänger, sagt dir Ketama was?‹ (der Name kam mir bekannt vor, eine Semiflamenco-Band), ›und mit komischen schwarzen Augen, ich kann dir nicht sagen, was, aber irgend etwas daran ist seltsam, eigen, wenig angenehm für meinen Geschmack. Mal trägt er Schnurrbart und mal nicht, ich vermute, er rasiert ihn sich ab und läßt ihn dann immer wieder wachsen, ich habe ihn schon mit und ohne gesehen.‹ ›Und was noch? Sag mir mehr‹, hatte ich sie aufgefordert, wie Tupra oder Mulryan oder Rendel oder Pérez Nuix bei unseren Sitzungen mich aufforderten, der eine häufiger als die anderen. ›Da ist nichts mehr. Keine Ahnung. Du mußt bedenken, daß ich ihn nur vom Sehen kenne. Ich bin ihm über die Jahre hier und dort über den Weg gelaufen, ich weiß, wer er ist, und habe Sachen von ihm gehört wie von so vielen anderen Leuten (na ja, bis zu der Sache mit Luisa, jetzt mehr). Aber soweit ich mich erinnern kann, sind wir uns nie vorgestellt worden, ich habe ihn nie besonders nahe vor mir gehabt oder ein Wort mit ihm gewechselt.‹ ›Etwas wird dir doch noch aufgefallen sein‹, hatte ich nachgehakt, in dem Wissen, daß immer etwas herauskommt, wenn man genügend Druck ausübt: noch etwas. ›Also, ich habe dir ja schon gesagt, er trägt immer Krawatte, als wollte er den leicht bohemehaften Look ausgleichen, den er durch den Pferdeschwanz und diesen halben Schnurrbart bekommt, mit dem ich ihn manchmal gesehen habe: ein Kontrast, eine gewisse Originalität. Er kleidet sich sehr korrekt, sehr klassisch, ich nehme an, er strebt nach Eleganz, so ganz gelingt es ihm nicht. Vielleicht paßt das einfach nicht zu seinem Gesicht, das etwas ausgesprochen Lüsternes hat, ich weiß nicht, wie soll ich dir das beschreiben, eines von diesen Gesichtern, die Sexualität ausstrahlen, etwas Maßloses, kann sein, daß er teilweise auch deshalb Erfolg hat, man kann es geradezu riechen. Man weiß schon von ferne, woran man bei ihm ist. Als Frau jedenfalls. Er sieht dich dreist an, er taxiert dich. Er inspiziert dich blitzschnell von Kopf bis Fuß, starrt dir unverhohlen auf die Brüste und den Hintern, wenn du sitzt, auf die Schenkel. So habe ich ihn das bei vielen Frauen machen sehen, damals im Chicote und im Cock, bei jeder, die hereinkam; und manchmal, von weitem, hat er das auch bei mir getan, es ist ihm egal, ob man in Begleitung kommt oder nicht. Ich habe ihn wohl nicht sonderlich angemacht, oder er hat gemerkt, daß mir sein Stil nicht gefällt, er hat sich mir in keinem dieser Lokale genähert. Ranz sagt, er wisse immer gleich, ob er Beute vor sich hat oder nicht, und noch schneller, ob er Lust hat, ihr die Zähne ins Fleisch zu schlagen, oder ob ihm daran nichts liegt.‹ Der Gedanke hatte mir nicht gefallen, daß er in Luisa sehr wohl eine Beute erkannt und sie vermutlich auf der Stelle durchschaut hatte, kaum daß er sie ins Visier nahm, in der gegenwärtigen Lage. Und anschließend war ich nicht umhingekommen, mich zu fragen, ob er dasselbe wahrgenommen hätte, wenn sie aufeinander getroffen wären, als Luisa und ich noch zusammen waren. Der nächste Gedanke war noch schlimmer gewesen: Es war nicht auszuschließen, daß sie sich noch vor meinem Auszug und meinem Weggang nach London kennengelernt hatten, vor unserer Trennung. Ich ertrug es nicht, weiterzudenken, ich beließ es dabei.
    An dem Burschen aus dem Prado konnte ich nichts davon feststellen, von seiner sexuellen Unersättlichkeit meine ich, obwohl sein Blick mit äußerster Aufmerksamkeit auf einem Bild ruhte, das eine Frau zeigte, eine Mutter. Vielleicht hatte er auch sie körperlich inspiziert, noch vor jeder künstlerischen oder malerischen oder auch nur technischen Betrachtung. Vielleicht hatte es ihn abgestoßen, daß die Frau auf dem Gemälde mit ihren drei kleinen Kindern auftrat; das mußte aber nicht so sein, wenn er Custardoy war, schließlich gefiel Luisa ihm ohne Zweifel, und sie war die Mutter zweier Kinder. (Die Frau auf dem Bild war freilich eine alles andere als

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