Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
Medici und Karls V.‹ (›Ein Söldner oder so‹, dachte ich; ›auf meine Art bin ich das jetzt auch.‹) ›Das Porträt stammt aus der Zeit, als er auf der Seite der Habsburger kämpfte, was den Schriftzug » IMPERIO « wie auch die zahlreichen klassischen Zitate erklärt.‹ Der ins Grau stechende blaue Blick des Grafen war noch kälter als der seiner Frau, fast abschätzig, fast stählern und fast grausam, wobei die Vorstellung, daß er sich damit an sie wandte, weniger nahelag als die, daß ihr Blick auf ihn gerichtet war. (›Das könnte Sir Cruelty sein‹, dachte ich.) Der lange Vollbart und der Schnurrbart machten ihn älter (er mochte um die Dreißig gewesen sein, als er für das Bild posierte) und erschwerten es, auf Anhieb zu entscheiden, ob er gutaussehend war oder nur stattlich und streng, auf den zweiten Blick erkannte man, daß er es sicherlich war (alle drei Dinge meine ich). Die noble, gerade Nase wirkte ziemlich groß, größer als die meine, aber nicht als die von Custardoy, die allerdings leicht gebogen war. Wie die heilige Katharina und wie Reresby trug er ein Schwert, auf der linken Seite (er war also Rechtshänder), doch das seine steckte in der Scheide, und es sahen nur das Heft und die Parierstange hervor, die Klinge nicht. Er war elegant in Fell gewandet, und zur Rechten war die Statue eines jungen Mannes mit Helm und ebenfalls mit Schwert abgebildet, vermutlich der Kriegsgott Mars. Seine Hände waren vornehm, die Finger vielleicht etwas zu feingliedrig für die eines Kriegers. Das Auffälligste aber war wohl das aggressive Suspensorium mit Naht oder Steppstich oder wie das heißen mag (es war bestimmt aus schwerem Leder, nicht aus Rohr oder Weidengras, wie man es meist auf Bildern sieht), sichtbar und obszön nach oben gerichtet, aufgestellt – eine stete Erinnerung an die Erektion –, weit weniger diskret und bescheiden als zum Beispiel diejenigen, die bei den Kaisern Karl V. und Philipp II . auf ihren von Tizian gemalten Ganzkörperporträts zu sehen sind, ebenfalls hier im Prado. ›Vielleicht hat dieser Graf, dieser Soldat, dieser Ehemann doch nicht viel mit mir gemein‹, dachte ich, ›mit dem, der schon geht oder schon weg ist, und mehr mit dem, der gerade kommt oder schon eingetreten ist, einem gewalttätigen Kerl, einem, der ein Schwert trägt, mit diesem Hurensohn von Custardoy. Vielleicht drückt der Blick der Frau dann Ergebenheit und Angst aus, und sie wirkt deshalb wie gelähmt und willenlos, das sind zwei derart beherrschende und starke Gefühle, ob zusammen oder einzeln, spielt keine Rolle, daß sie zeitweise jedes andere außer Kraft setzen können, die Liebe zu den Kindern eingeschlossen. Gebe Gott, daß Luisa ihn nicht so ansieht, daß sie keine Angst vor ihm hat und ihm erst recht nicht ergeben ist. Aber wie sie ihn wirklich ansieht, das werde ich nie erfahren.‹
I ch wandte den Blick einmal mehr von dem Gemälde ab und Custardoy oder dem Mann zu, der Custardoy sein konnte, und da merkte ich, daß er seinerseits den Blick gewendet hatte und in meine Richtung sah; ein paar Sekunden lang war ich überzeugt, daß unsere Augen sich begegneten, doch der Blickwechsel war so flüchtig, daß wir uns ebenso gut gleichzeitig nach dem Pendant des Bildes umgesehen haben konnten, das wir jeweils vor uns hatten, in meinem Fall war es das von Pedro Maria Rossi und in seinem das von Camilla Gonzaga mit Troilo, Ippolito und Federico, den Söhnen der beiden, seit ich auf ihn aufmerksam geworden war, stand Custardoy wohl schon mindestens sieben Minuten da und kritzelte Wörter und Linien aufs Papier, und gewiß war er noch länger hier, das ist viel Zeit, um ein einziges Bild zu betrachten. In diesen paar Sekunden konnte ich sein Gesicht erstmals von vorne sehen, und es erschien mir sogleich obszön und wild und kalt, mit der breiten Stirn oder den Geheimratsecken, dem nicht sehr dichten Schnurrbart (aber er war dunkel wie sein Backenbart) und der nicht ganz so hakenförmigen Nase wie im Profil, logischerweise (ja, auf einmal erschien vor meinem geistigen Auge ein Sänger, den ich im Fernsehen gesehen hatte, mit langen Haaren, das war dann wohl der Frontmann dieser Gruppe, Ketama), und mit tiefschwarzen, sehr großen und leicht auseinanderstehenden Augen, die fast keine Wimpern hatten, und dieser Mangel und dieses Auseinanderstehen mußten seinen obzönen Blick auf die Frauen, die er eroberte oder kaufte, und vielleicht auch auf die Männer, mit denen er rivalisierte,
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