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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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anmutige Matrone, während Luisa sich schlank gehalten hatte und in meinen Augen hübsch und jugendlich geblieben war, wie sie in den Augen anderer wirkte, weiß ich freilich nicht.) Was ich durchaus im ersten Moment festgestellt hatte, das war, daß er Jackett und Krawatte trug und dazu schwarze Schnürschuhe. Letztere waren wohl nicht von Grenson oder Edward Green, aber sie waren schlicht und von gutem Geschmack, ohne dicke Sohlen oder solche aus Gummi, gegen seine Kleidung war nichts einzuwenden, allenfalls konnte man sie übermäßig konventionell nennen. Aber für den Pferdeschwanz galt das gewiß nicht, auch wenn es schon seit Jahren nicht selten vorkommt, oder nicht sehr, daß man Männer gleich welchen Alters mit dieser Frisur sieht (das Alter wirkt überhaupt nicht mehr als Bremse, es hat sämtliche Schlachten gegen die Mode und die Anmaßung verloren). Er erschien dadurch wie eine Gestalt aus der Halbwelt, Cristina hatte ihn zu Recht in diesen Zusammenhang gestellt, wenn er es denn war.
    Als ich wieder einmal vorbeischlenderte, immer aus einer sicheren Distanz, um zu verhindern, daß er auf mich aufmerksam wurde, konnte ich mit einem raschen Blick sehen, daß mein erster Eindruck mich nicht getäuscht hatte: Er war im Begriff, diverse Skizzen der Köpfe auf dem Gemälde anzufertigen, und machte sich dazu Notizen, beides sehr schnell. Falls er Custardoy war, konnte es sein, daß man ihn mit einer Kopie beauftragt hatte und er gerade eine Vorstudie durchführte. Wenn er so gut war, wie es hieß, hatte er es vielleicht auch nicht nötig, lange Stunden und endlose Tage mit einer Staffelei und Pinseln vor dem Gemälde zu verweilen, sondern es genügte ihm, es genau zu erfassen und auswendig zu lernen (ein fotografisches Gedächtnis vielleicht) und in seinem Atelier über eine gute Reproduktion zu verfügen, offen gestanden habe ich keine Ahnung von den Techniken des Kopierens, ganz zu schweigen vom Fälschen von Bildern (eine Fälschung bereitete er in diesem Fall wohl kaum vor, niemand würde glauben können, das Exemplar aus dem Prado sei nicht das wahre Original).
    Trotz alledem wollte ich nicht allzulange in seiner Umgebung bleiben: Je länger ich als sein Schatten verweilte, desto größer war mein Risiko, daß er sich umdrehte oder den Kopf nach links wandte und mich entdeckte, wenngleich es äußerst unwahrscheinlich war, daß er mich durch Fotos, die Luisa ihm gezeigt haben mochte, kannte oder erkannte, oder womöglich war nicht einmal das der Fall, dann hatte er mich noch nie gesehen. Ich entfernte mich also ein wenig und sah mir kurz ein anderes Bild an, Micer Marsilio Cassoti und seine Frau von Lorenzo Lotto, dann trat ich wieder näher, ich wollte nicht, daß er plötzlich ging und ich seine Spur verlor; anschließend entfernte ich mich etwas weiter und warf einen Blick auf das Porträt eines Edelmanns von Volterra, aber meine Augen wanderten sogleich zurück zu dem Mann mit dem Pferdeschwanz, ich getraute mich nicht, ihn länger als einige Sekunden aus den Augen zu lassen; erneut nahm ich Abstand und betrachtete die Heilige Katharina von Yáñez de la Almedina mit ihren Rot- und Blautönen und dem langen Schwert auf ihrem Folterrad, und diese Gestalt nahm mich gefangen, so sehr, daß ich nach einer halben Minute der Betrachtung nervös wurde und eilends in die Umgebung des Porträts der Mutter mit ihren Kindern zurückkehrte. Während ich kam und ging und wartete, hatte ich Gelegenheit, es mir etwas genauer anzusehen: Es war von mittlerem Format, ungefähr ein mal ein Meter, schätzte ich; ein Gruppenbild im Familienkreis, wie aus der Legende hervorging: Bildnis der Camilla Gonzaga, Contessa di San Secondo, mit ihren drei Söhnen von Parmigianino, dessen wahrer Nachname Mazzola lautete, so las ich, wie der des berühmten Fußballers aus meiner frühen Kindheit, der gegen die Mannschaft von Real Madrid mit Di Stéfano und Gento antrat, ich glaubte mich zu erinnern, daß er als Stürmer bei Inter Mailand gespielt hatte. Vor sehr dunklem, fast schwarzem Hintergrund hob sich die robuste Gräfin ab, edel gekleidet, in Maßen mit Schmuck behängt, und in der rechten Hand hielt sie einen goldenen Pokal mit Intarsien, der bei so vielen Kindern rundherum vage fehl am Platz wirkte; oder vielleicht war es auch gar kein Pokal, sondern die breite Quaste der um ihre Taille geschlungenen Kordel. Sie neigte zur Dickleibigkeit oder nicht ganz (eine ausladende Frau jedenfalls), und ihr Gesichtsausdruck war überaus

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