Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
abwesend oder sehr unlebendig, wobei in ihrem Blick etwas von einer gelassenen, fast gleichgültigen Entschlossenheit lag. Ihre Kuhaugen traten deutlich hervor, die Brauen waren zu dünn und schienen nicht aus Haaren, sondern wie gemalt, die eher feinen Lippen hatten nichts Verführerisches, und das Beste an ihr war vielleicht die schimmernde, rosige Haut ohne eine einzige Falte, auf Höhe der Wangen schien sie schier platzen zu wollen. Am meisten überraschte ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Söhnen, Troilo, Ippolito und Federico, wie aus der Bildlegende hervorging; sie war nicht im geringsten auf sie bezogen, sie schenkte ihnen keinen Blick, streichelte sie nicht und faßte nicht einmal denjenigen bei der Hand, der rechts von ihr stand, obwohl sie ihn doch recht nahe ihrer linken hatte, die schlaff herabhing. Die Gräfin war wie eine verdutzte, von anderen, kleineren Statuen umgebene Statue, das Merkwürdige war nämlich, daß auch die Kinder ihr nicht die geringste Aufmerksamkeit zollten, obgleich zwei von ihnen sich nachlässig an der Kordel ihres Kleides festhielten. Jede Figur sah in eine andere Richtung, und zwar immer aus dem Bild heraus, als wären sie allesamt weit mehr an Personen oder Gegenständen interessiert, die sich außerhalb des Gemäldes befanden, als die einen an ihrer Mutter und den Brüdern, die andere, die in der Mitte, an ihren Söhnen. Der älteste Sohn zur Linken war der unattraktivste und glich einem Armenhäusler, einem Waisenkind, teils durch seinen häßlichen und drastischen Haarschnitt, teils durch seinen mißmutigen Gesichtsausdruck; auch der Jüngste wirkte nicht besonders glücklich oder liebevoll, nur schutzlos, so sehr, daß er an der mütterlichen Kordel zog wie einer, der einem Reflex oder einer bloßen Gewohnheit nachgibt; der auf der rechten Seite, der der Niedlichste war und die wachsten Augen hatte, wirkte wie von der Gruppe völlig abgewandt, als wollte er bald seinen Abschied von ihr nehmen und auch von seinem geringen und geduldigen Alter.
Der einzige Blick, dem man folgen oder den man sich vorstellen konnte, war jener der Gräfin, denn zur Linken, hinter der hohen Tür, die sie noch weiter voneinander trennte (ein rein zufälliges Resultat der Hängung im laufenden Monat), hing das Porträt ihres Ehemannes, auf den sie womöglich diese alles andere als warmen und vielleicht enttäuschten oder gekränkt sich erinnernden Augen gerichtet hielt. ›Sie haben sich einzeln porträtieren lassen‹, dachte ich, ›der Ehegatte und Vater alleine, zur einen Seite, die Ehefrau und Mutter mit den Kindern auf der anderen, zwei unterschiedliche Tableaus, zwei getrennte oder isolierte Räume anstelle eines familiären und gemeinsamen für alle: mehr oder weniger wie bei mir, der ich allein in London bin, während Luisa mit Guillermo und Marina hier in Madrid geblieben ist, nur daß sie unseren Kindern durchaus zugewandt ist und diese ihr, so ist es jedenfalls bisher immer gewesen, es wäre bedauerlich, wenn dieser Custardoy sie einander entfremdete, Frauen unterläuft das manchmal, daß sie plötzlich nur noch Augen und Sinn für den neuen Mann haben, den sie gerade für sich gewinnen, oder für den alten und geliebten, den sie gerade verlieren, und das ist das einzige, was sie ihren kleinen Kindern von Zeit zu Zeit voranstellen und wofür sie sie vorübergehend in den Hintergrund rücken können, so wie diese Gräfin ihren Blick vielleicht auf den fernen Kämpfer richtet, der außerhalb des Bildes und möglicherweise ihrer Zeit steht, und deshalb Troilo, Ippolito und Federico vernachlässigt, die sich bereits daran gewöhnt haben, daß ihre Mutter sie kaum beachtet und an nichts anderes mehr denkt als an ihren abwesenden Mann, und vielleicht sieht sie die Kinder nur noch als eine Kette und ein Hindernis und eine Störung, ich glaube nicht, daß das bei Luisa je so werden kann, auch wenn ich in diesen Tagen häufig mit der polnischen Babysitterin zusammentreffe, es wird oder kann wohl seinen Grund haben. Und sie hat natürlich keineswegs nur mich im Sinn, so abwesend ich auch sein mag. Wahrscheinlich habe ich ihr irgendeinen Grund gegeben, aber sie war es, die mich aus ihrer Zeit vertrieben hat und aus der der Kinder.‹
›Pedro Maria Rossi, Conte di San Secondo . Um 1533 – 35 ‹, stand in der Bildlegende, und im folgenden wurde die Figur beschrieben: ›Pedro Maria Rossi ( 1504 – 1547 ) war ein bedeutender Feldherr in Diensten Franz’ I. von Frankreich, Cosimos I. de
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