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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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führt, schenkt sie nicht nur keine Beachtung, sondern sie leistet ihm ebenfalls keinen Widerstand und wehrt sich nicht, sie blickt mehr in ihre Vergangenheit als in ihre Zukunft, vielleicht weil sie weiß – trotz der Versprechungen des in der Luft hängenden Kreuzes und des höllischen, in Flammen stehenden Turms mit seiner Bresche wie von einem Kanonenschuß –, daß von der Zukunft nur noch wenig oder gar nichts bleibt.
    ›Und da ist Sir Death oder der Ritter Tod‹, dachte ich, ›wie es der deutschen und englischen und allgemein germanischen Tradition entspricht: Er ist zweifellos männlichen Geschlechts, der Tod, denn obwohl er durchaus etwas von einer Leiche hat, ein Halbskelett mit derart an die Knochen geklebter Haut, daß sie jene kaum bedeckt – tatsächlich könnte man meinen, daß es eine geliehene Verkleidung ist mit dem Zweck, einen Fuß auf die Erde zu setzen, vor allem wenn man sich die Augen ansieht, die noch eingesunkener sind als der Rest –, so erkennt man doch einige vom Kinn abstehende Bartfäden und andere, die wie Tentakeln wirken, eher die einer Sepia oder eines Tintenfischs als die eines Kraken, letztere lugen aus der Gegend des Glieds und der verschwundenen Hoden hervor, jetzt klafft dort nur noch ein Loch, wo einst ein Suspensorium aufgeragt haben muß. Der Wachtmeister Tod aus dem Lied aus Armagh ist er dagegen nicht (›And when Sergeant Death’s cold arms shall embrace me‹), ein Ritter in der Blüte seines Lebens, ein feuriger, starker Krieger, imstande, ohne Unterlaß Leben zu entreißen, ein erfahrener Profi mit kalten, disziplinierten und immer eifrigen Armen, vielmehr ist er die schwächste und verbrauchteste der drei Gestalten auf dem Gemälde, oder der vier, mit seiner gebrochenen und so unterwürfigen Lanze, daß selbst ein ahnungsloses Kleinkind sie anfaßt. Und doch drückt sein magerer Arm, der sie gepackt hält, Entschlossenheit und Energie aus, und vor allem ist er der Herr über die Zeit, er hält die Uhr in der Hand und kennt die Stunde und sieht, wie der Sand oder das Wasser, die sein Werkzeug enthält, zur Neige gehen, seine rötlichen Augen achten allein darauf und behalten sie im Blick, nicht die alte Frau und auch nicht die junge, die Zeit ist das einzige, wonach er sich richtet, das einzige, was zählt für diesen Ritter Tod, der so nackt und verfallen ist wie unsere romanische Alte mit der Sense – la Muerte –, dieser Sir Death ohne Rüstung noch Helm noch Schwert.‹ Und mir kam das ›so ungeheuerliche Ticktack‹ jener kleinen Räume auf dem Lissaboner Friedhof Os Prazeres in den Sinn, das dem Reisenden zufolge, der es ›mit einer gewissen Indiskretion‹ entdeckte und betrachtete, ›sich zum normalen Ticktack verhielt wie der Schrei zur Stimme‹; und mir fiel der rätselhafte Satz wieder ein, eingegeben vom Anblick des alten Weckers, der das Geräusch auslöste – ›wie sie zur Zeit unserer Eltern in den Küchen zu finden waren, rund, mit seinem Glöckchen unter einem runden Helm und zwei kleinen Kugeln als Füßen‹ –, der Satz, der da lautete: ›Mir scheint, daß die Zeit die einzige Dimension ist, in der die Lebenden und die Toten miteinander sprechen und kommunizieren können, die einzige, die ihnen gemeinsam ist‹. Wenn all der Sand oder all das Wasser durchgeflossen sein und das Ende der von Baldung Grien gemalten alten Frau anzeigen würde, die möglicherweise auch die junge war, wenn diese endlich zu den ›Einflußreichsten und Beseeltesten‹ geschickt wären, dann würde man die Uhr oder das Stundenglas vielleicht erneut umdrehen müssen, damit es die neue Zählung einleitete, nach der sich mein reisender Landsmann gefragt hatte: ob es die Zeit messen würde, die sie tot waren, oder die Zeit, die fehlte bis zum Jüngsten Gericht. Und wenn es die Stunden der Einsamkeit waren, würde es dann die bereits vergangenen zählen oder die noch ausstehenden?
    Ich steckte den Kopf in den größeren Saal mit den Italienern und machte dann wieder kehrt, um noch ein wenig das deutsche Bild zu betrachten, das mir keine Angst mehr einflößte, mich aber neugierig machte. Von der Schwelle aus hatte ich auch Die Verkündigung von Fra Angelico im Blick, von dem eine ausgezeichnete 1 : 1 -Kopie einen Ehrenplatz im Wohnzimmer meines Vaters einnahm, seit ich denken konnte, er und meine Mutter hatten einen befreundeten Kopisten damit beauftragt, einen Custardoy der dreißiger oder vierziger Jahre, Daniel Canellada hieß er, ich erinnerte mich daran;

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