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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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Grausamkeit und schlimmeren Konsequenzen. Ich habe einen umgebracht, damit nicht zehn umgebracht wurden, und zehn, damit nicht hundert umgebracht wurden, mir gebührt keine Strafe, ich verdiene vielmehr eine Belohnung.‹ Oder aber zu denen, die antworten: ›Es war notwendig, ich habe meinen Gott, meinen König, mein Vaterland, meine Kultur, mein Volk verteidigt; meine Fahne, meine Legende, meine Sprache, meine Klasse, meinen Raum; meine Ehre, die Meinen, meinen Tresor, meinen Geldbeutel und meine Socken. Kurzum, ich hatte Angst.‹ Die Angst, die ebenso freispricht wie die Liebe, von der sich so leicht sagen und glauben läßt: ›Es ist stärker als ich, ich vermag nichts dagegen zu tun‹, oder die erlaubt, auf den Satz zurückzugreifen ›Ich liebe dich eben so sehr‹, als Erklärung der Handlungen, als Alibi oder Entschuldigung oder mildernden Umstand. Vielleicht gehörte er sogar zu denen, die argumentieren: ›Ach nein, es war die Zeit, wer sie nicht erlebt hat, kann es nicht verstehen. Ach nein, es war der Ort, er war verrückt, er war bedrückend, wer nicht dort gewesen ist, kann sich unsere Entfremdung nicht im entferntesten vorstellen und seinen Bann.‹ Er würde dagegen wenigstens nicht zu denen gehören, die sich drückten, er würde niemals diese anderen Worte aussprechen: ›O nein, ich wollte das nicht, ich habe nichts damit zu tun, es geschah ohne meinen Willen, wie in den verschlungenen Nebelwolken des Traums, das gehörte meinem theoretischen oder in Klammern gesetzten Leben an, dem, das in Wirklichkeit nicht zählt, es geschah nur halb und ohne meine volle Zustimmung.‹ Nein, so tief würde Tupra nicht sinken, wie ich es bisweilen sehr wohl getan habe, um mir den einen oder anderen meiner Schritte zu erzählen. Aber jetzt wollte ich das lieber nicht weiter vertiefen, sondern antwortete auf das letzte, das er zu mir gesagt hatte:
    »Ich arbeite für dich, Bertram, aber in meinem Aufgabenbereich. Verlang nicht mehr von mir. Ich bin dazu da, Leute zu interpretieren und Berichte abzuliefern, nicht, um betrunkenen Flegeln beizukommen. Nicht einmal, um verblühende Damen zu unterhalten, die sich mir bis zum Brustbein in den Oberkörper rammen.«
    Tupra konnte nicht verhindern, daß ihn amüsierte, was ihn amüsierte. Bis jetzt hatten wir uns noch keine Gelegenheit gegeben, uns über die Tortur zu äußern, schon gar nicht, darüber zu lachen, oder er über mich, über mein Pech und meinen unvollkommenen Stoizismus.
    »Harte Spitzen, was?« Und er ließ ein aufrichtiges Lachen vom Stapel. »Nicht im Traum hätte ich ihre Aufforderung zum Tanz angenommen, bei diesen Bollwerken.« Er sagte ›bulwarks‹, vielleicht wäre das genauer durch ›Bastionen‹ zu übersetzen.
    Er hatte es wieder geschafft. Auch mich amüsiert, was mich amüsiert. Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen, der Ärger löste sich vorübergehend auf oder vertagte sich, als es dafür eigentlich zu spät war. Einige Sekunden lang lachten wir beide gleichzeitig, gemeinsam, ohne Verzögerung oder Vorauseilen, mit dem Lachen, das die Menschen uneigennützig miteinander verbindet und ihre Unterschiede aussetzt oder aufhebt. Was bedeutete, daß ich trotz meines Verdrusses und meiner wachsenden Besorgnis – oder es war schon Unbehagen, Abneigung, Abscheu – ihm das meine noch nicht ganz entzogen hatte. Vielleicht war ich auf dem Weg, es zu rationieren, aber ich hatte mich ihm noch nicht versagt oder es ihm verweigert. Nicht ganz, noch nicht, das Lachen.


    D as hatten wir also gemeinsam, daß wir beide mit der jungen Pérez Nuix geschlafen hatten, ich war mir fast sicher, obwohl ich nicht auf den Gedanken gekommen war, zu fragen, ihn nicht und sie schon gar nicht, dabei bezeichnet der Umstand, ein Bett im Wachzustand zu teilen, willkürlich die Grenze zwischen Diskretion und Vertrauen, zwischen Geheimnis und Enthüllung, zwischen rücksichtsvollem Schweigen und Fragen mit ihren Antworten oder ihren gelegentlichen Ausflüchten, als beseitige die Tatsache, in den Körper eines anderen einzudringen, außer den physischen bald auch andere Grenzen: biographische, gefühlsmäßige, zweifellos die der Verstellung oder der Vorsicht oder der Zurückhaltung, es hat etwas Absurdes, daß zwei Personen, nachdem sie sich umarmt haben, sich befähigter oder ungefährdeter fühlen, im Leben und in den Gedanken desjenigen zu forschen, der oben oder unten lag oder mit dem Rücken oder mit dem Gesicht zu ihm stand, wenn das Bett nicht nötig war,

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