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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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oder ausführlich, wortreich und sogar in sich gekehrt davon zu erzählen, manche vögeln nur mit jemandem, um danach im Akkord zu quatschen, so als hätten sie durch die Verflechtung einen Freibrief gewonnen. Das hat mich bei meinen gelegentlichen Abenteuern häufig gestört, die aus einer einzigen Nacht oder einem einzigen Morgen oder Nachmittag bestanden, und so sind sie zunächst alle, solange die Wiederholung sich nicht ergibt, alle sind so, wenn sie anfangen und man nicht weiß, ob sie sogleich wieder zu Ende sein werden, oder nur einer der Beteiligten das weiß, er weiß es sofort und verschweigt es höflich und gibt Anlaß zu Mißverständnissen (die Höflichkeit ist ein Gift, sie führt uns ins Verderben); er tut so, als würde die Sache nicht gleich wieder abbrechen, als hätte sich vielmehr in der Tat etwas aufgetan, das sich nicht unbedingt schließen muß, und was er damit herbeiführt, ist eine große Quälerei. Und manchmal weiß man es sogar, bevor man in den neuen Körper eindringt, man weiß, daß man nur dieses eine Mal probieren, sich vergewissern, sich womöglich innerlich brüsten oder über sich selbst empören möchte, und vielleicht geht es einem sogar darum, die Erfahrung zu vermerken, um sie im Kopf zu haben oder sich vielmehr an sie zu erinnern; oder schwächer noch, es einfach zu wissen: ›Das ist in meinem Leben geschehen‹, so wird man sich nun immer sagen können, vor allem im Alter oder wenn man in die Jahre kommt, wenn die Vergangenheit die Gegenwart in hohem Maße besetzt hält und diese, interesselos oder skeptisch, nur noch selten nach vorne schaut.
    Ja, es ist mir oft auf die Nerven gegangen, daß sie mir hinterher ihre besonderen Eigenschaften und Innerlichkeiten dargelegt, mir ein unvermeidlich abweichendes Porträt ihrer Persönlichkeiten gezeichnet oder versucht haben, mich zu etwas Besonderem zu machen (›Das ist mir noch mit keinem Mann passiert‹), zum Teil, um mir zu schmeicheln, und zum Teil, um ihren Ruf zu retten, den niemand in Frage gestellt hatte. Es hat mich irritiert, daß sie sich ab diesem Augenblick mit übermäßiger Vertrautheit oder Ungezwungenheit und besitzergreifender Haltung in meiner Wohnung bewegt haben, wenn wir dort waren (›Wo hast du den Kaffee?‹ zum Beispiel, wobei sie es für ausgemacht hielten, daß ich Kaffee hatte und daß sie sich gleich selbst einen zubereiten konnten; oder aber ›Ich geh mal ins Bad‹, statt zu fragen, ob sie es aufsuchen dürften, wie sie es eine Weile zuvor getan hätten, als sie noch bekleidet waren oder noch nicht aufgespießt; eine Übertreibung, dieses Verb). Es hat mich empört, daß sie sich angeschickt haben, eine ganze Nacht in meinem Bett zu schlafen, ohne mich überhaupt zu fragen, und wie selbstverständlich davon ausgingen, daß sie eingeladen waren, in den Laken zu verbleiben, nur weil sie eine Weile auf der Matratze gelegen oder die Hände auf sie gestützt hatten, um das Gleichgewicht zu halten, während sie nach vorne gebeugt standen, mit dem Rücken zu mir, more ferarum, den Rock hochgeschoben, die festen Absätze der Schuhe an den Füßen. Es hat mich aufgebracht, daß sie einen oder zwei Tage später unangemeldet bei mir zu Hause erschienen, um mir scheinbar liebevoll und spontan guten Tag zu sagen, in Wirklichkeit aber, um vorsätzlich wiederzukommen und sich niederzulassen, mit der unbegründeten Sicherheit, daß ich ihnen Zutritt gewähren und ihnen zu jeder Stunde und unter allen Umständen Zeit widmen würde, ob ich nun beschäftigt war oder nicht, allein oder in Gesellschaft anderer Besucher, erfreut oder reuevoll (aber mit größerer Wahrscheinlichkeit uneingedenk), ihnen gestern erlaubt zu haben, mein Territorium zu betreten. Ob ich nun den Wunsch hatte, allein zu sein, oder Luisa vermißte. Und es hat mich auf die Palme gebracht, daß sie mich später anriefen und sagten: ›Hallo, ich bin’s‹, als würde der fleischliche Umgang Exklusivität oder Einzigartigkeit verleihen oder die Identität unterstreichen oder garantieren, dass dadurch meine Gedanken in besonderer Weise beschäftigt wären, oder mich dazu verpflichten, eine Stimme wiederzuerkennen, die womöglich – mit ein wenig Glück – nur einen höflichen Seufzer zustande gebracht hatte oder mehrere.
    Am wütendsten hat mich jedoch bisweilen gemacht, daß ich mich (absurderweise in diesen Zeiten) in ihrer Schuld gefühlt habe, weil ich mit ihnen geschlafen hatte. Zweifellos ein Relikt aus meiner Kindheit, als man noch der

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