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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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Auffassung war, daß das Interesse und das Drängen stets vom Mann kamen und daß die Frau nachgab oder, mehr noch, zugestand oder gewährte und daß sie es war, die sich zu einem wertvollen Geschenk oder einer großen Gunst bereit fand. Nicht immer, aber allzu oft habe ich mich als Urheber oder letztlich Verantwortlichen des zwischen ihnen und mir Geschehenen betrachtet, obwohl ich es weder gesucht noch geplant hatte – ich habe es in den meisten Fällen nicht kommen sehen, ich habe es nicht geahnt –, und habe angenommen, sie würden es bedauern, kaum daß es vorbei wäre und ich im Begriff, mich zurückzuziehen oder beiseite zu rücken, oder während sie sich wieder ankleideten oder sich die Kleidung glattstrichen und sie zurechtzupften (es gab eine verheiratete Frau, die mich um ein Bügeleisen bat: Ihr enger Rock war das reinste Akkordeon, sie ging direkt zu einem Abendessen unter sehr eleganten Ehepaaren, ohne vorher zu Hause vorbeizugehen; ich lieh ihr mein gutes Bügeleisen, und sie ging frohgemut davon, ihr Kleidungsstück stumm und ohne eine Spur ihrer Abenteuer) oder aber später, wenn sie allein wären und nachdenklich oder erinnerungsselig von ihren plötzlich als bräutlich empfundenen Fenstern aus im Halbschlaf des frühen Morgens denselben Mond betrachten würden, dem ich keine Beachtung schenkte.
    Und so habe ich mich oft veranlaßt gefühlt, sie auf der Stelle zu entschädigen, indem ich mich zartfühlend, geduldig oder geneigt zeigte, ihnen zuzuhören; indem ich behutsam auf ihre Sorgen einging oder ihr Gerede ertrug; indem ich ihren unbekannten Schlaf bewachte oder sie mit Liebkosungen bedachte, die nicht am Platz waren und die ich kaum über mich brachte, aber ich zwang sie mir ab; indem ich mir verworrene Entschuldigungen ausdachte, um vor dem Morgengrauen aus ihren Wohnungen zu verschwinden, wie ein Vampir, oder um meine eigene mitten in der Nacht zu verlassen und ihnen so zu verstehen zu geben, daß sie nicht dort übernachten konnten und sich jetzt anziehen und mich hinunterbegleiten und in ihren Wagen steigen oder ein Taxi nehmen mußten (und ich habe den Fahrer im voraus bezahlt), statt ihnen zu gestehen, daß ich sie jetzt nicht mehr sehen oder hören oder schlafend an ihrer Seite atmen wollte. Und manchmal sah ich mich veranlaßt, sie zu entschädigen, auf symbolische und lächerliche Weise, und dann habe ich ihnen schnell irgendein kleines Geschenk gemacht oder ihnen ein ordentliches Frühstück zubereitet, wenn die Stunde kam und uns noch zusammen antraf, oder ich habe einem Wunsch nachgegeben, den zu erfüllen in meinen Möglichkeiten stand und den sie nicht mir gegenüber zum Ausdruck gebracht, sondern nur so dahingewünscht hatten, oder einer Bitte, die wohl an mich gerichtet wurde, aber implizit oder nicht ausdrücklich oder zeitlich genügend entfernt, um nicht in Verbindung gebracht werden zu können oder nur, wenn man darauf bestand, Wort mit Fleisch zu verbinden. Aber nicht, wenn die Bitte explizit und zeitlich nah erfolgte, denn in diesen Fällen konnte ich mich nicht eines unangenehmen Gefühls von Geschäft oder Kuhhandel erwehren, das das Ganze verfälschte und es schäbig machte oder es vielmehr aufhob, als wäre es nicht geschehen.
    Vielleicht bat Pérez Nuix mich deshalb sehr viel früher um den Gefallen, als mir noch nicht durch den Kopf gegangen war, daß wir diese Nacht in solcher Nähe beenden und sogar den Morgen erreichen könnten, ohne uns völlig voneinander gelöst zu haben. Oder gut, ich hatte wohl daran gedacht, aber nicht als mögliche Möglichkeit, sondern als hypothetische Unwahrscheinlichkeit (Gedanken aus dem Hinterstübchen, das Wissen, daß man akzeptieren würde, wozu es in keiner Weise kommen wird), das erste Mal war es geschehen, als sie die Reißverschlüsse ihrer Stiefel auf- und wieder hochzog und sich mit meinem Handtuch abtrocknete und ihr die Masche eines Strumpfes aufging, die sich zu einer breiten, langen Laufmasche auswuchs, und ihre Schenkel sich unbekümmert zeigten und mich damit nicht ausschlossen. ›Sie verwirft mich nicht, weiter nichts‹, hatte ich gedacht. ›Weiter nichts, das ist alles, ich bin es, der es merkt und bedenkt. In Wirklichkeit ist es nichts.‹ Und auch: ›Und es existiert noch immer ein Abgrund zwischen dem Begehren und der Nicht-Zurückweisung, zwischen der Bejahung und der Ungewißheit, zwischen dem freien Entschluß und der reinen Absichtslosigkeit, zwischen einem ›Ja‹ und einem ›Kann sein‹, zwischen

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