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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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einem ›Jetzt‹ und einem ›Wir werden sehen‹ oder es ist weniger als das, es ist ein ›Ach ja‹ oder ein ›Aha‹ oder es ist nicht einmal gedacht, ein Limbus, eine Leere, ein Vakuum, ich ziehe es nicht in Betracht, es fällt mir nicht ein, es ist mir nicht einmal durch den Kopf gegangen.‹ Für sie war ich noch unsichtbar, als sie mich um den Gefallen bat, oder ich war es die ganze Nacht und auch am Morgen. Mit Ausnahme vielleicht des kurzen nächtlichen Augenblicks, in dem sie mir die weit offenen Handflächen auf die Wangen legte, als bekundete sie mir ihre Zuneigung, wir lagen beide schon da, in meinem Bett, um zu schlafen, die Handflächen waren sanft; in dem sie mir in die Augen blickte und mich anlächelte und lachte und zart mein Gesicht umfaßte, wie es bisweilen Luisa getan hatte, als ihr Bett noch meines war und wir noch nicht müde waren oder nicht müde genug, um uns gute Nacht zu sagen und bis zum Morgen den Rücken zuzukehren.
    Doch dieser Augenblick kam später. Und wie fast immer, wenn man ohne Pause mehr als eine Frage stellt, begann die junge Pérez Nuix bei der letzten. ›Du hast mich noch nicht ganz um den Gefallen gebeten, ich weiß noch immer nicht, worin genau er besteht. Und was das für Privatpersonen sind, was für private Privatpersonen‹, hatten meine beiden Fragen gelautet, wobei ich ihren Ausdruck wiederholte, ›private Privatpersonen‹.
    »So seltsam es uns heute erscheinen mag, Jaime, mit unserer ständigen nervösen Anspannung und der permanenten Angst vor dem Terrorismus«, sagte sie, »aber es gab ein paar Jahre, und das ist noch gar nicht so lange her, obwohl es uns fern erscheint, da fehlte es dem MI 5 und dem MI 6 sozusagen an Arbeit. Mit dem Fall der Berliner Mauer schwanden ihre Aufgaben ebenso wie ihre Sorgen, und die Budgets, über die sie verfügten, schrumpften. Jetzt hat man gesehen, daß das eine große Unvorsichtigkeit war. Beim MI 5 zum Beispiel sanken sie von fast neunhundert Millionen Pfund im Jahre 1994 auf weniger als siebenhundert im Jahre 98 . Dann stiegen sie wieder, zaghaft und allmählich, aber bis zu den Attentaten auf die Zwillingstürme 2001 , die die Alarmglocken schrillen ließen und große Zerknirschtheit und die Absetzung einiger mittlerer Chargen nach sich zogen, gab es einen Zeitraum von sieben oder acht Jahren, in dem ein gut Teil der Geheimdienstler auf der Welt und natürlich beim unseren sich fast nutzlos und überflüssig, wie soll ich sagen, beschäftigungslos, entbehrlich, müßig und, was das Schlimmste war, gelangweilt fühlte. Viele der Leute, die jahrzehntelang damit beschäftigt gewesen waren, die Sowjetunion zu analysieren, sahen sich, wenn nicht arbeitslos, so doch fast überzählig und hatten das Gefühl, nicht nur Zeit verschwendet zu haben, sondern einen Großteil ihres Lebens, das plötzlich an ein Ende kam. Das abrupte Gefühl, Vergangenheit zu sein. Wer Deutsch, Bulgarisch, Ungarisch, Polnisch, Tschechisch konnte, wurde nicht mehr mit der üblichen Häufigkeit beansprucht, und sogar die Russischexperten verloren an Bedeutung und an Aufgaben. Auf einmal gab es so etwas wie einen nicht anerkannten Überschuß, auf einmal waren maßgebliche Personen nicht mehr von Nutzen oder nur in geringeren Angelegenheiten. Es war so deprimierend, daß sogar die Chefs begriffen, wie demoralisierend die Situation war, und ich kann dir versichern, daß sie wie in jeder Branche und überall immer mit der größten Blindheit geschlagen sind, wenn es gilt, die Probleme ihrer Untergebenen zu erkennen. Na ja, jedenfalls merkten sie es als letzte, mit unglaublicher Verspätung, und nur ein paar Tage vor dem 11 . September, wenn ich mich recht erinnere, brachte die Presse, The Independent, glaube ich, die Nachricht, daß der MI 5 sich durch Vermittlung des damaligen Generaldirektors Sir Stephen Lander anschicke, seine Spionagedienste den großen Unternehmen des Landes anzubieten, wie der British Telecom, Allied Domecq, Cadbury Schweppes und anderen, denen er sehr nützliche Informationen über ihre ausländischen Konkurrenten verschaffen könne. Anscheinend war es die Agentur, die sich den Unternehmen andiente und nicht umgekehrt, und zwar im Verlauf eines Seminars an ihrem Sitz in Millbank, zu dem zum ersten Mal in der Geschichte, wenn ich mich nicht irre, Vertreter der Industrie und der Finanzen eingeladen wurden, sowohl des öffentlichen Sektors als auch vor allem des privaten. Die Rechtfertigung dafür war, daß es ebenso patriotisch und

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