Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
schlimmsten Fall erschrickt er gar nicht, und was machst du dann?«
»Verstehe. Und woher nehme ich so eine Pistole?« Ich wußte, daß der Maestro Waffen besaß, Jagdwaffen ganz sicher, auf seinem Landgut bei Cáceres, er verbrachte da oft mehrere Tage am Stück. Vielleicht hatte er auch andere, wie fast jeder, der zu Geld gekommen ist, kurze Waffen, die nicht zum Jagen taugen. Aber das Wahrscheinlichste war, daß sie sich alle ganz legal in seinem Besitz befanden und daß daher keine davon völlig sauber war.
»Na, ich leihe sie dir, so wie ich dir auch das Schwert geliehen hätte oder was du auch haben wolltest. Aber wie würdest du ein Schwert überhaupt transportieren, Mensch, das käme ja noch dazu, du hast vielleicht Ideen. Die Pistole dagegen paßt in deine Jackentasche.« Daran hatte ich auch nicht gedacht, daß ich keinen Mantel mit einem Futteral am Rücken hatte, nicht einmal einen solchen Trenchcoat. Und bei dem Wetter konnte man sowieso keinen Mantel tragen. Miquelín fuhr fort: »Also dann. Eulogio, mein Freund, sei so gut und bring mir die Llama meines Vaters. Und die andere auch, den Revolver.«
»Wo hast du sie denn?« fragte Cazorla.
»Sie sind drüben in der Bibliothek, hinter der Ausgabe von Tausendundeine Nacht, ein Stück weiter links rüber, da stehen mehrere braune Bände. Komm, hol sie schnell und bring sie mir.«
Der apoderado verließ das Zimmer (ich fragte mich, was für eine Bibliothek der Maestro wohl hatte, im Wohnzimmer war sie nicht, ich hatte sie während der Kartenabende nie gesehen; aber er war ziemlich belesen, wie so mancher Torero), und nach kurzer Zeit kam er mit zwei Schachteln oder in Tücher eingeschlagenen Päckchen wieder und stellte sie vor Miquelín auf den niedrigen Tisch.
»Gut, und sei sie so lieb und bring Jacobo noch ein paar Handschuhe, Eulogio. Wenn du eine davon benützen willst«, sagte er zu mir, »dann faß sie besser nicht mit den Fingern an. Am Ende vergißt du noch, sie abzuwischen, du bist das ja nicht gewöhnt.«
Cazorla war immer noch so beflissen, wie ich ihn in Erinnerung hatte, seine Bewunderung für den Maestro war unermeßlich, sie grenzte fast schon an Anbetung. Er verließ erneut den Raum und kam bald mit einem Paar weißer Handschuhe zurück, ähnlich denen eines Obers oder eines Zauberkünstlers. Sie waren aus dünnem Stoff, ich streifte sie über, und da wickelte Miquelín sorgsam, fast feierlich die Päckchen aus, vielleicht nicht so sehr, weil es sich um Waffen handelte, als weil sie seinem Vater gehört hatten. Viele Väter, die im Krieg gewesen waren, hatten irgendeine Waffe behalten, ob die Dienstwaffe oder eine andere, auch bei meinem war das so, ich wußte, daß er eine Star oder eine Astra besaß, eine von denen, die in Éibar hergestellt wurden. Aber ich hatte sie nie bei ihm gesehen, und es wäre nicht passend gewesen, ihn jetzt danach zu fragen oder in seiner Wohnung herumzukramen. ›In der Zeit nach dem Bürgerkrieg hat er wohl sein Leben riskiert‹, dachte ich, ›indem er die Waffe behielt, anstatt sie abzugeben. Als einer auf der Verliererseite. Und dazu war er ja noch im Gefängnis gewesen.‹ Miquelíns Vater, der älter sein mußte als der meine, mochte auf seiten der Sieger gestanden haben, wir hatten nie darüber gesprochen, es spielte keine Rolle mehr. Im übrigen hatten wir sowieso noch nie über etwas Ernstes oder Persönliches geredet. Madrider Freundschaften sind wirklich originell, häufig unerklärlich.
»Kann ich sie jetzt in die Hand nehmen?« fragte ich ihn. Sie waren schön anzusehen, der Revolver mit seinem geriffelten Holzgriff, die Pistole, die fast einen rechten Winkel bildete.
»Wart noch ein wenig«, sagte er. »Die waren von meinem Vater, alle beide, unsere Strauchdiebe von heute haben sie also nicht bei den Akten, wenn sie mich damit erwischten, würden sie sie einfach weiterverkaufen. Der Revolver ist, glaube ich, von vor dem Krieg. Ein englisches Fabrikat, ein Enfield. Den hat ihm ein englischer Schriftsteller geschenkt, der sich eine Zeitlang sehr für Stierkampf interessierte, und mein Vater hat damals seinen Matador dazu überredet, ihn mit der ganzen Truppe mit auf Reisen zu nehmen. Er wollte aus der Nähe darüber schreiben, er hatte so eine feste Hauptfigur namens Biggles, eine Serie, ich glaube, der Protagonist war Pilot, und in einem der Bücher sollte er seine Abenteuer in Spanien erleben. Mein Vater hat mir das ganz stolz erzählt, anscheinend war dieser Biggles in seinem Vaterland
Weitere Kostenlose Bücher