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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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darzustellen. De facto war er das bereits jetzt, er hatte schon allzulange gelauert oder war um den Rahmen herumscharwenzelt, hatte Vorstöße auf die Holztafel oder Leinwand unternommen, und Luisa hatte er angefaßt und ihr ein blaues Auge und eine Schnittwunde oder einen Schmiß zugefügt, letzteres hatte man mir erzählt, ersteres hatte ich gesehen, und nichts würde ihn daran hindern, dereinst in einer regnerischen, weltabgeschiedenen Nacht seine großen Hände um ihren Hals zu schließen – jene Klavierspielerfinger, oder waren sie mehr wie Tasten –, wenn er sie unterworfen und isoliert und ihr nach und nach seine Forderungen und seine Verbote einflüstert hätte, verkleidet als Verliebtheit, Schwäche und Eifersucht, als Schmeichelei und Bitten, ein bösartiger, despotischer Typ, der hinterhältige Mann. Jetzt war mir sonnenklar, daß ich nicht das Glück oder Unglück haben wollte, daß Luisa starb oder getötet wurde (Glück in der Vorstellung und in der Wirklichkeit Unglück), daß ich mir das nicht leisten konnte, weil das Wirkliche keine Umkehr kennt und nie rückgängig gemacht und vielleicht nicht einmal wiedergutgemacht werden kann, auch wenn die meisten Leute das glauben (den Toten kann man für seinen Tod natürlich niemals entschädigen, und womöglich auch nicht die Lebenden, die heute doch so oft Geld fordern und dadurch den Menschen einen Preis zuweisen, wenn sie bereits aufgehört haben, ihren Fuß auf die Erde zu setzen oder die Welt zu durchschreiten.
    Ich konnte nicht anders, ich mußte die Pistole im Gehen immer wieder anfassen und sogar fest umschließen, als ob der Knauf mich riefe oder ich mich an das Gewicht der Waffe gewöhnen müßte und daran, wie sie sich in meiner Hand anfühlte, manchmal hob ich sie ein wenig hoch, ohne sie aus der Tasche zu ziehen, und wenn ich sie richtig packte, nahm ich mich in acht, den Finger auf dem Abzugbügel zu lassen und nicht den Abzug selbst zu berühren, wie Miquelín mir geraten hatte, selbst wenn der Hahn nicht gespannt war. ›Wie einfach es sein muß, davon Gebrauch zu machen‹, dachte ich, ›wenn man sie einmal hat. Oder besser, wie schwierig, sie nicht zu gebrauchen, und sei es nur, um damit zu zielen und zu bedrohen und sich damit sehen zu lassen. Schießen wird um einiges schwerer sein, das ist sicher, aber sie ruft geradezu danach, daß man damit herumfuchtelt, und man könnte es für unmöglich halten, ihr nicht zu Willen zu sein. Vielleicht widersetzen sich Frauen mehr, aber für einen Mann ist das wie der Besitz eines verführerischen Spielzeugs, solche Waffen sollten gar nicht erst in unserem Besitz sein, und doch fällt die Mehrzahl derer, die hergestellt oder vererbt werden oder sonstwie vorhanden sind, irgendwann uns in die Hände, und selten ihnen, die sie sich mehr vor ihnen hüten.‹ Ich hatte auch ein gewisses eitles Gefühl von Unverwundbarkeit, oder war es, daß ich bei jeder Begegnung mit anderen Passanten dachte: ›Ich bin in diesen Augenblicken gefährlicher als sie, und sie wissen das nicht, und wenn jemand mir dumm käme oder versuchte, mich zu überfallen, würde er womöglich einen ziemlichen Schrecken davontragen; wenn ich die Pistole zöge, würde er wahrscheinlich klein beigeben oder das Messer hinwerfen und die Beine in die Hand nehmen‹, und ich erinnerte mich an den momentanen Hochmut, der mich überkommen hatte, als ich erkannte, was für eine Angst ich De la Garza eingejagt hatte, ohne es zu wollen, in seinem Büro (›Sie können durchaus zufrieden sein: Der hatte die Hosen voll‹, hatte Professor Rico mir gesagt, ohne Umschweife oder Lautmalereien). Und ich erinnerte mich auch daran, daß ich es hinterher abstoßend gefunden hatte, mich aus einem solchem Grund geschmeichelt zu fühlen, ich hatte gefunden, daß es nicht zu mir paßte, zu dem, der ich war und gewesen war, zu meinem gegenwärtigen Gesicht und zu meinem Gesicht von gestern, die vielleicht dabei waren, sich zu verändern, da morgen schon gekommen war. › Presume not that I am the thing I was. Ich bin nicht mehr, was ich gewesen‹, zitierte ich für mich, während ich weiterging. › I have turn’d away my former self. Ich habe meinem alten Ich Lebwohl gesagt oder ihm den Rücken gekehrt oder mich von ihm entfernt, also komme nur zu mir, wenn du hörst, daß ich wieder bin, wer ich gewesen, und du wirst sein, wer du warst. Bis dahin tue ich dich in Bann, bei Todesstrafe, halt nun dich fern von unserer Person.‹ Das waren die Worte König

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