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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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ziemlich berühmt.« Da war das Wort wieder, ›Vaterland‹; vielleicht hatte es nicht so viel zu bedeuten, Miquelín hatte es ganz unbetont ausgesprochen, möglicherweise, weil er nicht von seinem eigenen sprach, dem unseren. »Die Pistole ist nicht so alt, eine Llama, spanisches Fabrikat, eine Automatik. Der Revolver faßt sechs Schuß, die Llama zehn. Wenn du nicht vorhast, damit zu schießen, kann dir das im Prinzip egal sein. Und auch wenn dir doch nichts anderes übrigbleibt, beides reicht locker: Wenn nicht, heißt das, daß du schon tot bist. Also, ein Magazin für die Pistole genügt, damit ist es gut. Hier hast du die Munition. Gut erhalten, geölt, funktioniert alles, so wie mein Vater es mir beigebracht hat. Die Pistole kann Ladehemmung bekommen, wie jede andere auch. Andererseits, schau mal, wie viel Platz der Revolver wegnimmt, mit der Trommel und diesem langen Lauf. Ich glaube, die Llama ist besser für dich. Meinst du nicht auch, Eulogio, daß er zum Erschrecken mit der Pistole besser bedient ist?« Miquelín ging mit den beiden Waffen ganz gelassen um.
    »Wie du meinst, Miguel. Das weißt du wohl am besten«, erwiderte Cazorla mit einem Achselzucken.
    »Kannst du überhaupt schießen?« wandte sich Miquelín an mich. »Weißt du, wie das geht? Hast du schon mal eine Waffe in der Hand gehabt?«
    »Beim Militärdienst«, antwortete ich. »Seitdem nicht mehr.« Und mir ging durch den Sinn, wie seltsam das war oder wie neu. Es mußte etliche Zeiten gegeben haben, in denen das Unerhörte ein Bürger war, der keine Waffe zu Hause hatte und griffbereit hielt.
    »Regel Nummer eins, Jacobo: Leg niemals den Finger an den Abzug, bevor du nicht sicher bist, daß du auch schießen willst. Immer den Finger auf dem Abzugbügel lassen, ja? Selbst wenn die Pistole nicht durchgeladen ist. Selbst wenn sie überhaupt nicht geladen ist.«
    Ich wollte ihn fragen, was der Abzugbügel war, das Wort kam mir vor wie aus einer früheren Zeit, freilich wirkte auch Miquelín immer mehr wie aus einer früheren Zeit, ein Relikt, er und seine Großzügigkeit. Aber die Frage erwies sich als unnötig, denn schon führte er es mir vor, und ich sah, wo er den Zeigefinger auflegte. Anschließend gab er mir die Waffe, damit ich die Geste meinerseits vollführte oder nachahmte. Ich hatte nicht mehr gewußt, wie schwer eine Pistole ist, in Filmen halten sie sie in der Hand wie einen Dolch. Es bedarf einer Anstrengung des Arms, um sie heben. Mehr noch, um damit zu zielen und den Arm stillzuhalten.
    Und dann zeigte mir der Maestro, wie man mit der Waffe umging.


    I ch weiß nicht, ich glaube, zu dem Zeitpunkt hatte ich Wheelers Ausspruch bereits verinnerlicht, demzufolge die Menschen ihre Möglichkeiten im Blut tragen etcetera, und war mehr oder weniger überzeugt, das auf mich selbst anwenden zu können; ich glaubte, die meinen von vorneherein gut zu kennen, wenn auch nicht so gut, wie er die seinen kennen mußte, da er ja eine viel umfangreichere Lebenserfahrung auf seiner Seite hatte: Er hatte mehr Zeit gehabt als ich, größere Versuchungen und vielfältigere Umstände, um besagte Möglichkeiten zur Entfaltung zu bringen; er hatte Kriege erlebt und aktiv daran teilgenommen, und in ihnen kann man überzeugender sein und seine Feinde an Gefährlichkeit und Niedertracht übertreffen; in ihnen kann man die meisten Menschen ausnutzen, die, wie er sagte, dumm und leichtfertig und leichtgläubig sind und bei denen man leicht ein Streichholz anzünden kann, das zu einem Brand führt; in ihnen andere besser und ungestrafter in grauenhaftes, zerstörerisches Unheil stürzen, aus dem es kein Entrinnen gibt, und die derart Verurteilten in Verluste, in Unpersonen, in gefällte Bäume verwandeln, von denen man verfaultes Holz abschneiden kann; und sie sind auch die günstigste Zeit, um Cholera- und Malaria- und Pesterreger auszustreuen und viele Male den Prozeß der Verleugnung von allem in Gang zu setzen, dessen, der du bist, und dessen, der du gewesen bist, dessen, was du tust, und dessen, was du getan hast, dessen, was du erstrebst und erstrebt hast, deiner Beweggründe und deiner Absichten, deiner Glaubensbekenntnisse, deiner Ideen, deiner größten Loyalitäten, jeder Sache, die du verfochten hast …
    O ja, man ist nie, was man ist – nicht ganz, nicht genau –, wenn man allein ist und im Ausland lebt und unaufhörlich eine Sprache spricht, die nicht die eigene oder die des Anfangs ist; doch auch im eigenen Land ist man es nicht, wenn

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