Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
Vom Netzwerk:
dieses sich im Krieg befindet oder wenn dort Zorn oder Halsstarrigkeit oder Angst herrschen: Man fühlt sich bis zu einem gewissen Grad nicht verantwortlich für das, was man tut oder erlebt, so als gehörte all das einer provisorischen, parallelen, fremden oder geliehenen, fiktiven oder fast geträumten Existenz an – oder vielleicht ist sie theoretisch wie mein ganzes Leben, dem nicht unterzeichneten Bericht der alten Kartei zufolge, der mich betraf; als könnte alles in den Bereich des rein Imaginären und niemals Geschehenen und natürlich des Unfreiwilligen verwiesen, alles in den Sack der Vorstellungen und der Vermutungen und der Hypothesen und sogar der bloßen wirren Träume geworfen werden, nach denen man sich immer sagen kann, wenn man erwacht ist: ›Nein, ich wollte nicht, daß dieser anormale Wunsch oder dieser todbringende Haß oder diese grundlose Reue auftauchen, diese Versuchung oder diese Panik oder dieser Drang zu strafen, diese unbekannte Bedrohung oder dieser überraschende Fluch, diese Abneigung oder diese Sehnsucht, die jetzt jede Nacht wie Blei auf meiner Seele lasten, diese Widerwärtigkeit oder diese Gewalt, die ich selbst verursache, diese toten Gesichter mit ihrer endgültigen Gestalt, die einst mit mir paktierten, kein Morgen mehr zu haben (ja, das ist unser Pakt mit denen, die schweigen und vertrieben werden: daß sie nichts mehr tun noch sagen, daß sie verschwinden und sich nicht mehr ändern), und die jetzt kommen und mir furchteinflößende und unerwartete und vielleicht sogar für sie unpassende oder nun nicht mehr so unpassende Worte zuflüstern, während ich schlafe und jeden Schutz aufgegeben habe: Ich habe meinen Schild und meine Lanze im Gras zurückgelassen.‹ Und außerdem kann man sich unzählige Male die beunruhigenden Worte Yagos wiederholen, nicht erst nach, sondern bereits während seiner Taten: ›I am not what I am . ‹ ›Ich bin nicht, der ich bin.‹ Und wie einer, der ein Verbrechen in Auftrag gibt, oder einer, der mit einem droht, oder einer, der seine Niederträchtigkeiten preisgibt und sich damit einer Erpressung aussetzt, oder einer, der heimlich kauft – mit hochgeklapptem Mantelkragen und das Gesicht immer im Schatten, zünd nie eine Zigarette an –, den Auftragskiller oder den Bedrohten oder den möglichen Erpresser oder die austauschbare, längst aus dem Begehren gelöschte Frau, für die man sich gleichwohl schämt, warnt: ›Du weißt Bescheid, von jetzt an hast du mich nie gesehen, du weißt nicht, wer ich bin, du kennst mich nicht, ich habe nicht mit dir gesprochen oder dir irgendwas gesagt, für dich habe ich kein Gesicht, keine Stimme, keinen Atem, keinen Namen, nicht einmal einen Nacken oder einen Rücken. Diese Unterhaltung und dieses Treffen haben nicht stattgefunden, was hier vor deinen Augen geschieht, hat sich nicht ereignet, passiert nicht, und auch diese Worte hast du nicht gehört, weil ich sie nicht ausgesprochen habe. Und obwohl du sie jetzt hörst, sage ich sie nicht‹; so, auf dieselbe Weise kann man sich sagen: ›Ich bin nicht, der ich bin, und ich sehe nicht, was ich tue. Mehr noch, ich tue es nicht einmal.‹
    Was ich nicht so ganz verinnerlicht hatte oder schlichtweg nicht wußte, war, daß das, was man tut oder nicht tut, nicht nur von der Zeit, den Versuchungen und den Umständen abhängt, sondern auch von Dummheiten und Lächerlichkeiten, vom gefahrvollen und überflüssigen Denken, vom Zweifel oder der Laune oder von einem törichten Impuls, von den unpassenden Gedankenverbindungen und dem unvollkommenen Vergessen oder den flatterhaften Erinnerungen, von dem Satz, der dich verurteilt oder der Geste, die dich rettet.
    So ging ich also tags darauf los – es sah bedrohlich nach Regen aus –, die geliehene Pistole in der Tasche meines Trenchcoats, gewillt, etwas Entscheidendes zu tun, freilich ohne genau zu wissen, was, aber annähernd wußte ich es und auch, was ich am Ende erreichen wollte: Es galt, Custardoy aus dem Weg oder ihn sich vom Hals zu schaffen oder ihn von der Bildfläche verschwinden zu lassen; weniger von der meinen, die damals kaum mehr als eine Kleckserei war oder vielleicht eine unkonkrete Skizze – ›Du bist sehr allein hier in London‹, wie Wheeler mir gelegentlich sagte –, als von der Luisas und der Kinder, in die dieser kranke Typ sich seit einiger Zeit einschlich, womöglich stand er kurz davor, sich für lange Zeit dort einzurichten, oder lange genug jedenfalls, um eine Krankheit und eine Gefahr

Weitere Kostenlose Bücher