Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
entscheidender Bedeutung sein, ich setzte darauf, daß er weder das eine noch das andere würde zuendebringen können. Ich hoffte, daß er nicht in Begleitung kam oder ging, mit Luisa am allerwenigsten. ›Du wirst sie nicht wiedersehen‹, dachte ich, ›außer, sie ist heute schon bei dir‹, merkwürdig, wie man sich in Gedanken an einen wendet, dem man Böses will oder im Begriff ist, Schaden zuzufügen, man duzt solche Menschen grundsätzlich, als wäre das, was wir mit ihnen vorhaben, nicht mit Höflichkeitsformen vereinbar oder als erschiene uns jegliche Respektsbekundung angesichts unserer Pläne zynisch.
Ich wartete. Und wartete. Und wartete. Ich ging von der einen Seite zur anderen und von der anderen zur einen, meine Schritte zur Treppe oder meine Schritte zu den Gitterstäben, ich spähte in alle vier Richtungen und auf acht Gehsteige, Custardoy konnte vom Viadukt kommen oder unter meinen Augen vorbeilaufen, dicht an der Kathedrale oder dicht an der Mauer, er konnte vom Italienischen Kulturinstitut kommen oder die Cuesta de la Vega herauf bis zum Parque de Atenas, ich hielt die Pistole fest gepackt, gut verborgen in der Tasche, und in einigen Momenten wurde ich von Nervosität übermannt, ich hatte alles gut im Blick, aber es waren zu viele Fronten, und ich mußte unablässig den Aussichtspunkt wechseln, ich merkte, daß ein paar Frömmler anfingen, neugierig zu mir hochzugaffen – sie sahen nicht wie Spanier aus, vielleicht waren es Litauer oder womöglich Polen wie ihr früherer Chef – und, was noch schlimmer war, sie begannen, meine Wege von einer Seite zur anderen nachzugehen, als fürchteten sie, sonst etwas zu verpassen, die Nachahmerei der Leute ist heutzutage eine internationale Plage, ich fühlte mich bedrängt und wäre am liebsten gegangen. Doch genau da erspähte ich ihn, ich sah Custardoy auf der Calle Mayor näherkommen, eine unverwechselbare Gestalt auf der Seite des Gebäudes, das die Oberste Heeresleitung und den Staatsrat beherbergt, das heißt, auf seiner eigenen, dort, wo seine Wohnung oder Werkstatt oder sein Atelier lag. Ich harrte aus, ich rührte mich noch nicht, ich wartete ab, bis er auf Höhe der Ampeln ankam, für den Fall, daß er über die Straße ging, um sich vor die Bar zu setzen, obwohl der bewölkte Tag nicht dazu einlud, draußen zu sitzen. Auch er trug einen Trenchcoat, von guter Qualität, schwarz und sehr lang, fast wie ein Staubmantel, und zusammen mit dem Hut, den er diesmal aufhatte, einer Art Stetson mit breiterer Krempe, naturfarben oder weiß wie der von Tom Mix in seinen uralten Stummfilmen (er mußte wahrlich nicht ganz bei Trost sein) ließ ihn das ein wenig aussehen wie eine Westernfigur, an dem Tag hätte er mit seinem Freund Daniel Boone oder Jim Bowie ein gutes Paar abgegeben. Doch zum Glück war er alleine, er schritt entschlossen einher, peitschte die Luft mit den Schößen seines Trenchcoats und gewiß auch mit seinem Pferdeschwanz (in seinem Alter beugte er sich den Moden, er hatte Elan), sein Gang war nicht minder energisch als der meine vor einer Weile, und dabei hatte ich meine Llama. ›Er wird sich nicht einfach beugen lassen‹, dachte ich, ›er wird nicht einfach zu brechen sein, nicht einmal umzubringen. Außerdem hat er Kraft, die der reinen Nerven und der Ungeduld und der Verdoppelung, der Mann ist es bestimmt gewöhnt, stundenlang mit seinen Pinseln eingesperrt zu sein, konzentriert und still, eingerichtet in peinlicher Genauigkeit und den Blick auf eine Leinwand gerichtet, die er auf eine andere Leinwand kopieren wird, damit sie wie ein und dieselbe wirken, und wenn er sie hinter sich läßt und endlich aufsteht oder die Türe öffnet und auf die Straße tritt, hat sich in ihm gewiß eine enorme Anspannung angesammelt, und dann ist er explosiv. Ja, er wird nicht zu denen zählen, die um Gnade flehen, er wird Widerstand leisten, der Bursche ist weder zahm noch schreckhaft, das einzig Sichere ist, daß ich ihm Angst machen muß, mehr als er versuchen kann, sie mir zu einzuflößen, er wird nicht wie gelähmt sein und den Kopf einziehen und die Augen zusammenkneifen wie De la Garza, und ich bin natürlich auch nicht Tupra, bei dem es scheint, daß er nach Belieben Angst machen kann, oder wie die Kray-Brüder, von denen er mir erzählt und bei denen er gelernt hat, das Schwert einzusetzen, jene, denen ein Mithäftling Reresby zufolge die knappste Lektion erteilt hatte, um etwas zu erreichen: »Seht mal, da draußen gibt es Leute,
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