Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
ungeheuer viele Leute, denen es nicht gefällt, wenn man ihnen Schaden zufügt. Weder ihnen noch ihrem Eigentum. Und diese Leute, denen es nicht gefällt, Schaden zu erleiden, bezahlen andere Leute, damit diese ihnen keinen Schaden zufügen. Ihr wißt, von was ich rede, nicht wahr? Natürlich. Gut, wenn ihr hier rauskommt, Jungs, dann haltet schön die Augen offen, stellt den Leuten nach, denen es nicht gefällt, Schaden zu erleiden. Denn selbst ich scheiße aus Angst vor euch in die Hose, Jungs. Wunderbar.« »Cos you scare the shit out of me, boys. Wonderful«, so hatte Tupra es auf englisch gesagt, den letzten Satz, mit seiner falschen Aussprache, die vielleicht seine wahre war, in seinem so raschen, stillstehenden Wagen, im Mondlicht der Straßenlampen, zu meiner Rechten sitzend, die Hände noch immer auf dem reglosen Lenkrad, das er umklammerte oder strangulierte, er trug keine Handschuhe mehr, ich trage welche, seit ich das Hotel verlassen habe, und bis ich zurückkomme, habe ich nicht vor, sie auszuziehen, bis ich mit gesäuberter Bildfläche zurückkomme, nach begangener Handlung oder getaner Tat.‹ ›Das ist es, Jack. Die Angst‹, hatte Tupra noch gesagt, bevor er mich aufgefordert hatte, mit ihm nach Hause zu fahren und jene Videos anzusehen, die nicht für jedermann bestimmt waren, und nachdem er sie mir vorgeführt hatte, hatte er mich abermals gefragt: ›Sag mir jetzt: Warum kann man nicht einfach herumprügeln und töten? Deiner Meinung nach. Du hast gesehen, wie sehr man das überall tut und mit welcher Sorglosigkeit bisweilen. Erklär mir also, warum man nicht kann.‹ Und ich hatte so lange gebraucht, um ihm zu antworten, etwas, nichts.
Ich lief die Treppe hinunter, fast wäre ich über eine Betschwester gestolpert oder hätte sie besser gesagt überrollt, Custardoy war nicht zu dem Straßencafé unterwegs, sondern in sein Atelier, er war geradeaus weitergegangen und vor der Ampel an der Calle Bailén stehengeblieben, ich wußte schon, daß er beim Umspringen der Ampel auf Grün nur noch neunundvierzig Schritte von seinem Hauseingang entfernt sein würde, und genau dort mußte ich mit ihm zusammentreffen, nicht vor seiner Ankunft, aber vor allem nicht danach, denn sonst würde die Tür wieder zugefallen sein, er drinnen und ich draußen. Ich ging das Risiko ein, den Gehsteig zu wechseln, da ich günstigerweise Grün hatte; jetzt befand ich mich schon auf seiner Seite, ich sah ihn losgehen, als die Autos anhielten, eins, zwei, drei, vier, fünf, ein paar Augenblicke lang blieb ich hinter einem Baum stehen, der allerdings nicht sehr breit war, ich hoffte, daß Custardoy mich nicht sehen würde, bevor er seinen Schlüssel ins Schloß steckte, es würden so oder so nur wenige Sekunden sein, am besten, er sah mich, während er aufschloß, am besten, ich blieb so lange wie möglich in seinem Rücken, er würde noch größere Angst haben, weil er nicht wissen konnte, wer ihn bedrohte, weil er das Gesicht des Angreifers nicht sehen würde, oder meines, er würde sich wohl fragen, ob das jetzt ein schneller Überfall am Hauseingang war oder ob man ihm in aller Ruhe die Wohnung ausräumen wollte oder ob es sich um eine flüchtige und sich typischerweise ewig hinziehende Entführung à la mexicana handelte, ob er es mit mir allein oder mit mehreren zu tun hatte, ob mit Weißen oder Kupferfarbenen oder Schwarzen (wenig Überfälle verüben unsere Schwarzen), oder ob es vielleicht um eine unerwartete Abrechnung ging, um die späte Rache eines Mannes, an den er sich nicht einmal mehr erinnerte, in gewisser Weise war das bei mir der Fall, er dachte wohl kaum daran, daß Luisa einen Ehemann hatte oder gehabt hatte, sechsundvierzig, siebenundvierzig, achtundvierzig und neunundvierzig, und in dem Moment, da er den Schlüssel ins Schloß schob und die Türe nachgab, preßte ich ihm die Pistole in den Rücken, ohne sie aus der Tasche zu ziehen (so konnte er nicht wissen, ob der Hahn gespannt war oder nicht, auch wenn er sich plötzlich umdrehte, doch das würde er nicht tun, die Waffe war natürlich nicht schußbereit und mein Finger lag auf dem Abzugbügel, da paßte ich auf), aber ich drückte ihm den Lauf kräftig gegen die Wirbelsäule, damit ihm kein Zweifel an der Waffe kam und er sie ordentlich spürte.
»Rein jetzt, und kein Wort«, zischte ich, ein Wispern in den Nacken, sein dummer und manierierter Pferdeschwanz baumelte herunter, ich kam zu nahe dran und empfand Ekel.
Die Tür stand schon halb offen,
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