Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
und er trat ein, wir traten ein, gleichzeitig, dicht aneinander, mit der freien Hand stieß ich sie zu. Jetzt wußte er schon, daß ›wir‹ nur einer waren.
»Was soll die Scheiße?« fragte er. »Soll das ein blöder Scherz sein?« Noch war er nicht erschrocken, vielleicht hatte er dazu noch keine Zeit gehabt, oder er war einfach so. Sein Ton hatte etwas leicht Herausforderndes oder zumindest Aufgebrachtes, jedenfalls lag darin keinerlei Beunruhigung. ›Ja, das wird Mühe kosten, bis er mich ernst nimmt, er neigt nicht dazu, aus Angst die Fassung zu verlieren‹, dachte ich blitzartig. ›Die Sache fängt ja gut an.‹
»Nein, das ist kein Scherz, und du sollst das Maul halten. Wir gehen rauf, in deine Wohnung, die Treppe hoch. Langsam und ruhig, aber ohne stehenzubleiben. Wenn ein Nachbar auftaucht, gehören wir zusammen. Nimm den Hut ab und halt ihn in beiden Händen. Aber lass nicht den Schlüsselbund fallen, den kannst du schon noch halten.« An dem Tag hatte er keine Mappe dabei, vielleicht kam er nicht aus dem Prado. Ich sprach ihm weiter in den Nacken, Luisa hätte ihm vielleicht einen Kuß darauf gedrückt, ich konnte sein Haar riechen, es duftete nach etwas, nicht übel, er wusch es sich wohl täglich. Er folgte meiner Anweisung und nahm den lächerlichen Hut ab. Jetzt wußte er zweifellos schon, daß ich von hier war, nicht aus dem Osten oder dem Maghreb und auch nicht aus Lateinamerika, mein Akzent war weder der eines Albaners noch der eines Ukrainers, weder der eines Arabers noch der eines Kolumbianers oder Ekuadorianers, ich war nicht auf die Idee gekommen, einen fremden vorzutäuschen oder den meinen zu kaschieren, und ich hatte genug geredet, um unzweifelhaft als Spanier erkennbar zu sein, er wußte dann wohl auch schon, daß ich ein Weißer war, erstaunlich, wie kurz sich die Dinge verbergen lassen, ich war auch nicht auf den Gedanken gekommen, ihn beispielsweise auf englisch anzureden, das war ich doch gewöhnt. »Weißt du, was eine Kugel in die Wirbelsäule mit dir macht? Dann paß auf, daß ich dir keine angedeihen lasse. Auf geht’s.« Jetzt mußte er außerdem wissen, daß ich ein halbwegs gebildeter Mensch war, nicht jeder gebraucht so leicht einen Ausdruck wie ›angedeihen lassen‹.
»Hören Sie, wenn Sie Geld wollen, lassen Sie uns reden, da kommen wir schon zusammen. Dazu brauchen wir nicht raufzugehen, und Sie brauchen mir nicht die ganze Zeit die Kanone ins Kreuz zu drücken. Und schief anreden müssen Sie mich auch nicht.«
Jetzt klang er schon weniger arrogant, aber auch nicht verschüchtert. Er siezte mich, aber in diesem Fall war das kein Ausdruck von Respekt, er wahrte damit nur die Distanz. Ich duzte ihn, er mich nicht, das war ein Versuch, inmitten seiner offenkundigen Unterlegenheit ein wenig Überlegenheit auszudrücken, ich hatte die Pistole, ich hatte die Uhr, wie der Tod auf dem Gemälde. Ich zerrte nicht an ihm wie das Halbskelett des Ritters, der die alte Frau am Arm gepackt hielt, aber ich stand hinter ihm und stieß ihn vor mir her, es lief auf dasselbe hinaus, ich war Herr über die Zeit und lenkte ihn nach oben, er versuchte, durch Reden den Sand aufzuhalten oder das Wasser, wie so viele versucht haben, Zeit zu gewinnen und sich zu retten, anstatt still zu verharren. Die Arroganz hatte ihn noch nicht ganz verlassen, das konnte ich seinem letzten Satz entnehmen, bevor ich ihm das Wort abschnitt: ›Und schief anreden müssen Sie mich auch nicht.‹ Ebensogut hätte er sagen können: ›Schreien Sie mich nicht so an‹, nur hätte das keinen Sinn ergeben, weil ich im Flüsterton sprach.
Ich zog die Waffe aus der Tasche und verpaßte ihm mit dem Lauf der Llama einen heftigen Schlag gegen die rechte Seite, die Geste war wie bei einer Ohrfeige, nur eben auf die Rippen und mit der Pistole, nicht ins Gesicht und mit der Hand, es gab ein viel leiseres Geräusch, er trug ja auch den Trenchcoat. Er taumelte ein wenig, aber er fiel nicht. Auch den Hut ließ er nicht fallen, den Schlüsselbund schon.
»Du sollst das Maul halten, wie muß ich es dir noch sagen. Heb den Schlüssel auf und marsch.« Auch das war ein beherrschtes Flüstern, das mehr erschreckt als ein Schreien, so glaubte ich jedenfalls. Es überraschte mich, daß es mich keine Mühe kostete, ihm den Schlag zu versetzen, und daß ich keine Bedenken hatte, dies mit einer geladenen Waffe zu tun, wer den Umgang damit nicht gewöhnt ist, fürchtet immer, daß sie losgehen könnte, so vorsichtig er sich auch
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